27. Oktober 2013

"Das Grauen hat einen Namen: Himmelsleiter"

So der Kommentar eines befreundeten Läufers nach dem heutigen Trailmarathon in Heidelberg. Der erste Marathon in meiner Heimatstadt .. und dann auch noch mit Trails .. da durfte ich natürlich nicht fehlen.

Die Wettervorhersagen waren furchteinflössend. Doch nach einem nächtlichen Gewitter meinte es Petrus gut mit uns: fast optimales Laufwetter - ein bisschen Schnee gab es auch, doch dazu gleich mehr.
Die ersten Kilometer durch die Heidelberger Altstadt bis zur Alten Brücke legte ich eine flotte Sohle hin, da ich auf der engen Rampe in der Hirschgasse nicht im Stau stehen wollte. Das klappte sehr gut. Danach nahm ich etwas die Intensität heraus, weil mir klar war, dass ich meine Körner noch für die weiteren Berge brauchen würde. Es lief daraufhin erst mal recht gut .. so gut man das bergauf einschätzen kann. Auf dem ersten Bergabtrail am Heiligenberg liess ich es dann kurz flotter laufen und liess prompt einige Läufer mit erstaunten Blicken hinter mir. Etwas weiter am hohen Nistler gab es gleich die Bestätigung von einem anderen Athleten, dass bei mir bergab ja kaum ein Hinterherkommen möglich wäre und es dann sehr mühsam wäre, sich bergauf wieder heran zu arbeiten. Schönes Kompliment, doch bei dem nächsten Aufstieg wurde mir schnell klar, dass meine Reserven heute für kein herausragendes Ergebnis mehr reichen würden - ich mutmasste, dass es nach der Neckarüberquerung am letzten Berg in Schlierbach für mich sehr schwer werden würde. Kurz nach dem Weissen Stein gab es eine kurze Schrecksekunde: nach einer Unachtsamkeit gab es den inzwischen fast schon obligatorischen Sturz. Doch gekonnt mit einer Rolle vorwärts abgefangen, ist nichts passiert. Die nächsten Kilometer spulte ich in Ruhe in meinem Tempo runter und liess mich auch nicht von Unebenheiten oder überholenden Läufern - vermutlich zum Grossteil Staffeln - verrückt machen. Dann kam die Brücke. Wie vorhergesagt wurde es in der nun folgenden Steigung hart - zwischenzeitlich war es mehr Speedhiking als Laufen. Etwas deprimierend, wenn ich an die letzten Trainingseinheiten hier denke, wo alles noch gut lief. Vielleicht hatte ich vorher etwas zu wenig Elektrolyte getrunken, doch leider gab es auf dem Weg bis zum Königstuhl nur eine Station mit Wasser. Der Weg zog sich. Plötzlich hörte ich hinter mir nur ein "oh weh". Ich fragte war los war, doch dann sah ich den Grund: vor uns kam die Himmelsleiter. Mir ging es inzwischen immer schlechter und jetzt wurde mir auch noch übel. Zweimal musste ich an der Seite anhalten und mich kurz sammeln. Irgendwann hat alles ein Ende und nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich oben an der Aussichtplattform an. Hier hatte man doch tatsächlich Schnee hingekippt! Zwar konnte man darauf nur schlecht laufen, doch ich fand es witzig. Jetzt ging es sowieso nur noch um den Spass und das Ankommen. Jetzt bekam ich endlich mein Iso und eine Cola genehmigte ich mir auch. Sofort ging es mir wieder besser und das war gut so, denn nun musste ich mich konzentrieren. Auf diesen  folgenden Abschnitt hinunter nach Heidelberg hatte ich mich die ganze Zeit gefreut. Was nun folgte war ein Downhillgeschwindigkeitsrausch sondergleichen - in den technischen Trails konnte ich endlich meine ganze Erfahrung ausspielen. Ich kann mich nicht erinnern, dass in den technischen Abschnitten jemand an mir vorbeizog - vielleicht ein oder zwei frische Staffelläufer, aber das war es dann auch.  Auf einem kleinen Zwischenanstieg hatte ich zwar nochmal leichte Schwierigkeiten, aber dann ging es wieder in Highspeed über Molkenkur und Schloss hinunter in die Altstadt. Am Schloss wurde es richtig böig und ich fand mich kurzerhand in einer Wolke aufgewehter Blätter wieder. In der Hauptstrasse genoss ich die letzten Meter dann nur noch und liess es bis ins Ziel ausrollen. 

Am Ende kam mit einer Zeit von 4:15 Std. ein 118. Platz von 660 Männern (25. von 112 in meiner Altersklasse) heraus. Eigentlich wollte mehr erreichen. Doch heute war nach der langen Saison einfach nicht mehr drin und das ist ok so - ich hatte auf jeden Fall viel Spass. Und auf jeden Fall war es ein herrlicher Saisonabschluss. Dank allen, die uns unterwegs angefeuert haben! Danke auch an das ganze Orgateam - es gibt noch Verbesserungspotential, aber das war eine super Premiere - Fortsetzung erwünscht!

17. Oktober 2013

Vom Mont Blanc zum Matterhorn

Inzwischen hat der jährliche Mountainbike-Alpencross schon Tradition. Nachdem uns die Routen in den Ostalpen inzwischen schon wohlbekannt sind, ging es dieses Jahr erstmals in die Westalpen. Genaugenommen war es diesmal allerdings weniger ein „Alpencross“ als vielmehr eine „-querung“. Passend zu meinem grossen Ziel dem UTMB startete die Tour in Les Houches am Mont Blanc, führte um den Berg herum und zweigte dann im Aosta-Tal gen Osten zum Matterhorn ab. So hatte ich die Möglichkeit einige der Wege, die ich einen Monat später laufen sollte, schon mal mit dem Bike zu erkunden. Natürlich hatte ich wieder meine 2 Kameras dabei, um ein paar Momente dieser MTB-Tour um Mont Blanc und Matterhorn festzuhalten. Leider sind besonders die Abfahrten etwas verwackelt, doch ein schöner Rückblick für die Erinnerung ist es allemal.


Mont Blanc - Matterhorn von ironschoch

6. Oktober 2013

Schlammschlacht im Leiningerland

Seit dem Ultratrail du Mont Blanc musste ich kürzer treten - den umgeknickten Fuss merkte ich recht lange. Das heisst nicht, dass ich gar nicht laufen konnte, doch schwierige Trails waren eher die Ausnahme - bloss nichts riskieren! Und auch die Distanzen habe ich runtergefahren. Nach all den Ultraläufen dieses Jahr war es sowieso mal wieder an der Zeit etwas für die Geschwindigkeit zu tun. Nun war ich zwar beim Allgäu Panorama Marathon recht gut unterwegs, doch richtig kurz und schnell war der ja nun auch nicht. Nachdem ich diese Woche 2 schöne Trainingsläufe in schwierigem alpinem Gelände ohne Schmerzen absolviert hatte, juckte es mich nun meinen Fuss und meine Form in einem Rennen auszutesten. Sehr kurzfristig ergab sich die Möglichkeit beim Pfalztrail zu starten. Letztes Jahr war ich nicht sonderlich begeistert von der Strecke, doch der Veranstalter hatte auf die Kritik der Läufer reagiert, die Strecken zu diesem Jahr modifiziert und versprach einen höheren Trailanteil. Ich entschloss mich auf der 32,4 langen Strecke zu starten - dem sogenannten "Half-Trail". Und um das vorwegzunehmen muss ich dem Veranstalter diesmal bzgl. der Strecke ein grosses Lob aussprechen: die Strecke war dieses Jahr deutlich interessanter, technischer und abwechslungsreicher - so macht Trailrunning Spass!!! 

Leider war das Wetter alles andere als einladend. Morgens fuhr ich schon im Dauerregen hinüber in die Pfalz - ein wenig musste ich mit mir kämpfen, bei diesem Sauwetter wirklich zu starten. Zumal die Bodenverhältnisse sicher entsprechend schwierig werden würden und ich etwas Angst hatte zu stürzen. Doch ich war auf die neue Strecke gespannt und ein Lauf im Wettkampftempo passte gut in meinen Plan. Im Vorfeld wurde es mit der Nachmeldung etwas hektisch, da mein Parkplatz recht weit weg vom Start-Zielbereich mit Anmeldung war. Doch ich schaffte es gerade noch rechtzeitig zum Startschuss in das Läuferfeld. Aus dem hinteren Mittelfeld arbeitete ich mich sukzessive nach vorne. Ich versuchte das Ganze locker anzugehen, doch um mich herum dünnte das Feld immer weiter aus und bald war ich mit wenigen Läufern wohl recht weit vorne unterwegs. Mit dem matschigen und rutschigen Untergrund war ein schnelles Laufen nicht gerade einfach, doch genau das machte mir ziemlich Spass. Kurz vor der Burg Battenberg gab es eine erste Schrecksekunde, als ich nach einer rutschigem Downhill ohne Vordermann in einer Kurve erst in die falsche Richtung einbog und voll in die Banderole rannte. Schnell war ich wieder richtig unterwegs - gejagt von 3 Verfolgern, die ich kurz zuvor erst überholt hatte. Ein bisschen hatte mich das aus dem Konzept gebracht und die Schuhe hatten auf diesem äusserst matschigen Untergrund kaum mehr Grip. So passierte, was passieren musste: wenige Schritte später rutschte ich weg und landete mit meiner Vorderseite im frontal Modder. Es war zum Glück verletzungsmässig nichts passiert. Also ging es gleich weiter. Nur etwas vorsichtiger, da meine Schuhe noch keinen richtigen Grip hatten. Mein 3 Verfolger nutzen die Chance und zogen an mir vorbei, doch ärgerte mich zwar, aber war im Moment nicht zu ändern. Ich sah derweil aus wie ein braunes, rennendes Schokoladenmännchen. Was ich leider in der Hektik und vor lauter Schlamm nicht bemerkt hatte war, dass ich bei dem Sturz meine Startnummer verloren hatte. Das merkte ich erst an der nächsten Verpflegung, als man mich nach der Startnummer fragte. Ich konnte das Rennen trotzdem fortsetzen, musste lediglich an den Kontrollstellen meinen Namen mitteilen. Ein wenig nagte das an meiner Moral, denn ich wusste nicht, ob ich letztendlich in der Ergebnisliste auftauchen würde. Doch ich versuchte das als einen schnellen Trainingslauf zu sehen - deshalb war ich hier und so zog ich es durch. Im Ziel kam ich letztendlich immer noch dreckverschmiert mit einer Zeit von 2:56:18 Stunden an. Ich wurde tatsächlich doch noch in der Ergebnisliste geführt: die Zeit bedeutete den 27. Gesamtplatz von 239 Teilnehmern und ich war 6. in meiner Altersklasse. Es geht also doch noch!

14. September 2013

Epische Reise um den weissen König der Alpen

Es hat etwas gedauert, bis ich etwas zu meinem grossen Abenteuer Ultratrail du Mont Blanc (UTMB) schreiben konnte. Zu überwältigend und gleichzeitig tiefgreifend waren die Eindrücke, die ich aus diesem Rennen mitnehmen durfte. Es erscheint mir auch jetzt noch sehr schwierig dieses Rennen in Worte zu fassen, das kann ich kaum irgendjemand aussenstehendem in Worten vermitteln. Ich kann mir auch selbst noch nicht ganz erklären, wie man so etwas schaffen kann – immer noch erscheint mir vieles an dem Rennen so unvorstellbar und es fällt mir schwer zu beschreiben, was mir geholfen hat diese überwältigende Aufgabe zu meistern. Ich werde es nach vielen Rückfragen trotzdem versuchen ein paar meiner Eindrücke und Erinnerungen rund um dieses Rennen zu schildern.

Der Ultratrail du Mont Blanc über inzwischen 168 Kilometer und über 9600 Höhenmeter einmal rund um den König der Alpen hat sich in der Zeit seines Bestehens zu dem Zentrum des europäischen – vielleicht sogar weltweiten – Ultratraillaufs entwickelt. Für die Teilnahme am UTMB muss man sich erst bei anderen Ultratrailläufen qualifizieren. Wenn es dann immer noch zu viele Bewerber gibt, folgt nochmal ein Losverfahren. Am letzten August-Wochenende treffen sich dann in Chamonix all die 2300 erfahrenen Ultratrailer, die es durch dieses Anmeldeverfahren geschafft haben zusammen mit der Crème de la Crème der Profiläufer, um sich auf die epische Reise um diesen mystischen Berg zu begeben. Für mich war es schon ein Erfolg es überhaupt bis hierhin geschafft zu haben. Schon früh, als ich von diesem Lauf gehört hatte, war mir klar, dass ich hier eines Tages ebenfalls laufen wollte. Doch in den Qualifikationsrennen musste ich zuerst viel Lehrgeld zahlen, hatte mentale Tiefs zu durchstehen, so manche körperliche Schwäche oder Verletzung zu überstehen, was meinen Respekt vor diesem Lauf umso grösser machte. In den Wochen vor dem Rennen erntete ich unter Freunden und Bekannten meist nur ein ungläubiges Kopfschütteln, wenn ich von diesem Lauf erzählte. Doch wer konnte es ihnen verhehlen – ein bisschen erschien es mir ja selbst auch verrückt. Ich hatte mich aber gut auf das Rennen vorbereitet, war überzeugt davon, es trotz all der verbleibenden Unsicherheitsfaktoren schaffen zu können und war nun hier in Chamonix. Chamonix wurde seinem Ruf als die Hauptstadt der Trailläufer in dieser Woche definitiv gerecht. Nicht nur, dass es in der Stadt zahlreiche Outdoor-Läden aller bekannten Marken gibt, extra für die Rennwoche gab es zusätzlich noch eine grosse Messe mit zahlreichen schönen Dingen, die eines Trailläufers Herz höher schlagen lassen sowie einen weiteren Ausstellungsbereich, auf dem sich andere interessante Läufe präsentieren konnten. Für die Registrierung und Abholung der Unterlagen musste ich eine gefühlte Ewigkeit Schlange stehen, doch irgendwann war auch das erledigt. Am Abend dann die Ausrüstung vorbereitet, nochmal die Pflichtausstattung gecheckt und dann früh ab ins Bett. Die folgende Nacht war wichtig – musste ich doch wahrscheinlich von ihr die nächsten beiden Tage zehren. Ich schlief gut und lang, wachte jedoch mit einem leichten Kopfweh auf, das leider bis zum Rennstart nicht mehr ganz verschwinden sollte. Nach einem guten Frühstück, schlenderte ich nochmal über die Messe, gönnte mir ein gutes Mittagessen und versuchte dann ein Mittagsschläfchen, was mir leider nicht gelang. Sei’s drum. Noch ein letztes Mal die Ausrüstung geprüft, Wasser aufgefüllt und dann ab zum Start.
Startaufstellung in Chamonix
Als ich um kurz nach 3 Uhr eintraf war der Place du Triangle de l´ Amitié im Zentrum von Chamonix schon gut gefüllt. Ich setzte mich in der Mittagshitze in den Schatten der Kirche, beobachtete das bunte Treiben und genoss es einfach hier zu sein. Je näher wir dem Start kamen, umso euphorischer wurde es: die Sprecher feierten hier mit Athleten und Zuschauern eine grosse Ultratrail-Party. Ich bin nun schon bei zahlreichen Veranstaltungen am Start gestanden, aber ich kann mich nicht erinnern so eine überschwengliche Stimmung wie hier jemals vor einem Rennen erlebt zu haben. Zu der dramatischen Musik von Vangelis erfolgte dann der Start. Vorne wurde losgesprintet, bei mir im Mittelfeld war bis wir das Ortszentrum verlassen hatten mehr ein strammes Marschieren angesagt - mehr Platz war in den schmalen Strassen leider nicht. Aber hier würde sich das Rennen sicher nicht entscheiden, so übte ich mich in Geduld und arbeitete mich hinter dem Ort so gut es ging auf dem Weg nach Les Houches etwas im Feld nach vorne. Dann ging es hinauf zum erten Pass, dem Col de Voza – eine schweisstreibende Angelegenheit aber harmlos im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte.
Aufstieg zum Col de Voza
Kaum oben angekommen ging es auf einer mitunter recht steilen Skipiste hinunter nach Saint-Gervais. Na toll .. schon beim Lauf an der Zugsptze musste ich mich über Skipisten quälen – hatte ich schon mal erwähnt wie ich es hasse auf langweiligen, öden Skipisten zu laufen? Es sollte zum Glück die einzige Piste bleiben. Ich lief vorsichtig. Eine Verletzung am ersten Berg wollte ich nicht riskieren und der Weg war ja noch weit. Die Menschen im Ort empfingen uns mit lautem Beifall. Der erste Halbmarathon war geschafft und es würde bald Abend werden, so gönnte ich mir als Abendessen eine Nudelsuppe. Nach ersten Versuchen mit einem Löffel entschloss ich mich für die schnellere Variante, stürzte die Suppe hinunter und lief dann schnell weiter. Es ging erstmal moderat bergauf, dafür wurde es endlich trailiger als am ersten Berg. Als ich Les Contamines erreicht hatte, war dann schon die Nacht hereingebrochen. Ich holte im Zelt meine Stirnlampe heraus und zog mir gegen die zunehmende Kälte meine Jacke an. Um uns herum stieg währenddessen eine grosse UTMB-Party. Unter dem frenetischem Beifall der feiernden Franzosen verliessen wir den Ort wieder. Bis Notre Dame de la Gorge ging es moderat weiter. Im Val Montjoie liefen wir dann durch das enge Spalier der Zuschauer in den langen Anstieg zum Croix de Bonhomme. Aufgrund der Steigungsprozente war ich ganz glücklich, dass ich meine Stöcke schon vom Rucksack geholt hatte und konnte mit ihnen meine Beine etwas entlasten. Was unten mit steilen Felsplatten begann, wurde weiter oben zu einem richtigen Felsentrail. Hier sah man wie sich die Lichterkette der Läufer auf dem dunklen Schatten des Berges nach oben wand - ein toller Anblick. Umso höher wir kamen, umso windiger und kalt wurde es aber auch. Sicherheitshalber wurden vor dem Pass nochmal alle Läufer kontrolliert, dass sie auch ihre Jacken anhatten. Am Pass war auf einer Höhe von über 2500 Metern der erste Marathon geschafft. Ab hier ging es dann hinab ins Vallée des Glaciers zum nächsten Checkpoint Les Chapieux. Kurz nachdem ich mit dem Downhill begonnen hatte, knickte ich einmal um. Zum Glück war nichts passiert, doch kurz darauf dann ein zweites Umknicken. Ab hier schmerzte jedes weitere Auftreten. Mit den Schmerzen wurde ich unsicher und drosselte zwangsläufig mein Tempo. Fortan wurde ich vom zahlreichen Läufern überholt. Zwar ärgerte ich mich ziemlich sie einfach so passieren lassen zu müssen, aber alles andere wäre jetzt falsch gewesen – das Rennen war noch so lang und ich wollte nicht schon hier alles riskieren! Erst als wir kurz vor dem Checkpoint wieder auf so etwas wie einer Forststrasse unterwegs waren, konnte ich wieder vorsichtig traben. Am Checkpoint angekommen wurde nochmal die Pflichtausrüstung der Teilnehmer kontrolliert - Sicherheit wurde hier wirklich gross geschrieben. Hinter dem Checkpoint ging es das eigentlich wunderschöne Tal gen Col de la Segne hinauf – nur leider war es jetzt stockfinster, nicht mal der Mond war zu sehen! In meinen Gedanken erinnerte ich mich daran wie das Tal einen Monat zuvor auf meiner Mountainbiketour hier aussah. Der Untergrund der Strasse war im Moment für meinen angeschlagenen Fuss genau richtig, doch ich wusste, dass es bald am nächsten Berg schwieriger werden würde. Von der Strasse windet sich nach einiger Zeit dann ein technischer Singletrail hinauf zum Col de la Seigne. Von dem ausgesetzten Weg bot sich uns ab und zu ein Blick zurück ins Tal. Wie kleine Glühwürmchen konnte man dort am Talboden die Athleten sich langsam dem Berg entgegen arbeiten sehen. Ansonsten war von der Landschaft immer noch nicht viel zu erkennen- der Mond sollte sich erst später zeigen. Der Weg zog sich länger hinauf als ich ihn in Erinnerung hatte. An mehreren Stellen mussten wir kleinere Bäche überqueren. Während andere vorsichtig versuchten trockenen Fusses den Weg hinüber zu finden, machte ich mir wegen eines nassen Fusses keine Gedanken, denn es würden noch viele Bäche folgen und früher oder später würde jeder mal nass werden. Auf dem Pass angelangt, hielt ich kurz inne und erinnerte mich an die Aussicht hier auf der MTB-Tour vor einem Monat. Dann ging es auf einem technischen Downhill 500 Höhenmeter hinab zum Lac Combal. Der Weg war anders als ich ihn in Erinnerung hatte, offenbar hatten wir heute einen anderen Weg genommen. Nach einiger Zeit bergab spukte uns der Trail auf der Schotterstrasse am Talboden heraus. Ich war froh wieder mal flacheren Boden unter den Füssen zu haben, da wendete sich unsere Strecke plötzlich wieder in den Berg. Diesen Weg hatte ich so gar nicht auf dem Plan und aus meiner Erinnerung vollkommen verdrängt: weder war er mir damals bei der MTB-Tour aufgefallen, noch hatte ich ihn nach meinem Studium der Laufstrecke so bald nach dem Downhill erwartet. Zuerst hoffte ich, dass dies nur einer dieser kleinen Anstiege war, die nachher im Gesamtprofil kaum zur Geltung kamen und der bald zuende sein würde. Doch schnell sah ich hinter der nächsten Biegung wieder an der langen Lichterkette der Läufer, dass der Berg sich noch länger ziehen würde. Dann war das also schon der Aufstieg zum Arête Mont Favre und dem Col de Chécrouit – zumindest der letzte Anstieg vor dem Zwischenziel Courmayeur. Nochmal ein ziemlicher Brocken, aber in Courmayeur wartete auch Wechselkleidung auf mich, was mir ganz recht war, denn auf den letzten Kilometern hatte ich mich mit der Hose etwas wund gelaufen und ich war mir sicher, dass die neue Hose besser passen würde. Auch war ich ganz froh die Schuhe wechseln zu können, hatte ich nach inzwischen rund 70 Kilometern doch das Gefühl, dass diese hier doch schon ziemlich durchgelaufen waren. So verdrängte ich den Berg etwas und beschäftigte mich mehr mit Gedanken an die weitere Strategie und Organisation des Laufs.
Morgengrauen
Langsam graute der Morgen. Ich war froh, bald wieder ohne Lampe laufen und etwas mehr von der atemberaubenden Landschaft sehen zu können. Von Müdigkeit war bei mir noch keine Spur und mit dem Tageslicht wurde auch meine Trittsicherheit wieder besser. Der umgeknickte Fuss hielt und schwoll nicht an - alles gute Zeichen. Vom Gipfel ging es über 1250 Höhenmeter hinunter in den italienischen Skiort. Besonders ein enger, heftig steiler Wurzeltrail kurz vor dem Ort forderte nochmal meine komplette Aufmerksamkeit, doch auch da kam ich gut durch. In Courmayeur brauchte es in dem Trubel etwas, bis ich meinen Sack mit den Wechselsachen bekam.
Morgenstimmung über Courmayeur
Ich war froh dieses Zwischenziel in der vorgegebenen Zeit erreicht zu haben. Zwar hatte ich nach meinem Umknicken einiges von meinem Zeitpuffer, den ich mir zu Beginn erarbeitet hatte, wieder verloren. Aber ich war immer noch auf der sicheren Seite und musste nicht wegen der nächsten Zeitlimits in Panik verfallen. In der Halle zog ich mich erst mal um, ass in Ruhe und checke auf meinem Handy die Nachrichten, die ich unterwegs bekommen hatte. Die Anteilnahme am Rennen von zuhause aus und die aufbauenden Kommentare waren phänomenal! Ich fühlte zwar eine gewisse Erschöpfung, aber mit dem neu angebrochenen Tag und der Unterstützung, die ich virtuell bekam, spürte ich neue Energie für die zweite Hälfte dieser epischen Reise. Leider wartete jetzt erstmal der steile Anstieg über 800 Höhenmeter zum Refuge Bertone. Dieser saugte stark an den neu gewonnen Lebensgeistern. Ich versuchte so gut es ging die einzigartige Landschaft zu geniessen und mich damit abzulenken.
Nahe dem Refuge Bertone
Das gelang mir aber erst nach dem Refuge wieder besser, als der Anstieg geschafft war und es in Wellen gen Grand Col Ferret ging. Vor und neben uns boten sich immer wieder tolle Ausblicke auf die majestätischen Felsen und Gletscher des südlichen Mont Blanc Massivs. Auch dieses eindrucksvolle Tal war mir von der MTB-Tour noch gut in Erinnerung. Irgendwo am Ende musste das Rifugio Elena sein, in dem wir vor Überquerung des Passes eine Nacht geblieben waren. Hinter jeder Kurve suchte ich das Haus in der Ferne, doch ich sollte noch lange warten müssen bis ich es endlich sehen sollte. Denn zuvor ging es nochmal hinunter zum Talboden nach Arnuva.
Auf dem Weg nach Arnuva
Dort wurden wir angehalten nochmal ausreichend Flüssigkeit mitzunehmen, da jetzt ein zeitlich langer Abschnitt ohne Verpflegung folgen sollte. Ich füllte wie mir empfohlen wurde sowohl die Trinkblase im Rucksack wie auch meine separate Flasche auf, obwohl ich unsicher war, ob das nicht etwas übertrieben viel unnötiges Gewicht war. Dann machte ich mich auf den Grand Col Ferret zu erklimmen – wie man aus unzähligen Geschichten weiss ist das eine der Schlüsselstellen dieses Rennens. Schneller als ich mich versah war ich mitten drin in diesem erbarmungslosen Anstieg. Meine Streckenkenntnis half mir hier nur noch wenig und meine Energie schien schnell zu schwinden.
Blick in das französische Ferret-Tal
Ich hatte Schwierigkeiten einzuschätzen, wo wir genau waren und wie weit es noch war. Auf den Höhenmesser wollte ich aber nicht schauen, hätte doch die Anzahl der verbleibenden Höhenmeter mir nur einen weiteren mentalen Tiefschlag verpasst. In meinem Gedanken redete ich nun viel mit mir, versuchte mich mental wieder aufzurichten und dabei Stück für Stück dem Pass näher zu kommen. Solange ich gehen und einen Fuss vor den anderen setzen könnte, würde ich heute nicht stehenbleiben. Solange es noch einen Funken Hoffnung gab das Ziel zu erreichen, würde ich weitermachen. Das faire an Bergen ist, dass jeder noch so gemeine Anstieg mal ein Ende hat. So durchbrach ich oben nach langen Strapazen ein weiteres Mal die 2500-Meter-Grenze, bevor es abermals gen Tal ging. Fast gleichzeitig hatte ich hier auch die 100-Kilometer-Marke geknackt. Jetzt waren es auch nur noch 3 1/2 Berge, die es zwar in sich haben sollten, trotzdem klang diese Zahl in meinem aktuellen Zustand läppisch und auch erschreckend zugleich. Ich genoss, dass es endlich wieder bergab ging. Doch die Kilometer vergingen nur sehr zäh. Die Abstände zwischen den Checkpoints kamen einem nach der langen Renndauer mitunter wie eine gefühlte Ewigkeit vor. Kurz vor der kleinen Ortschaft La Fouly wechselten wir wieder auf eine Asphaltstrasse. Sofort wurde ich wieder schneller – mir sind solche Strassen zwischendurch immer recht gelegen und nicht selten kommen gerade dort dann wieder meine Lebensgeister zurück. Den folgenden recht verblockten und teilweise ausgesetzten Trail entlang der Drance hatte ich leichter in Erinnerung, als er mir nun vorkam. Trotzdem konnte ich mich an viele Stellen noch gut erinnern. Den Blick in die Landschaft sparte ich mir deshalb und konzentrierte mich darauf auf dem Weg nicht zu stürzen. Kurz hinter Praz de Fort ging es dann wieder hinauf nach Champex-Lac. Auf Schildern war der Ort recht früh angeschrieben, doch es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir endlich auf verwinkelnten und verwurzelten Wegen durch den Wald unser nächstes Zwischenziel erreichten und die Verpflegung auffüllen konnten. Inzwischen dämmerte es. Was viel schlimmer war, war dass ich auch erstmals so etwas wie Müdigkeit empfand. Dass mir jetzt wahrscheinlich noch eine komplette Nacht bevor stand, machte es mental nicht gerade einfacher. Doch hatte ja auch keiner gesagt, dass dieses Rennen einfach werden würde. Im Laufe der letzten Stunden hatte ich gehofft, dass ich zumindest noch den berühmtberüchtigten Anstieg zum Bovine vor der Nacht schaffen würde – hart, steil und unwegsam sollte er sein. Nun war klar, dass ich es nicht mehr im Hellen schaffen würde, doch immerhin: Puffer nach hinten hatte ich immer noch genügend. Schon beim Verlassen des Ortes musste ich meine Stirnlampe wieder anschalten. Zuerst ging es auf breiten Forstwegen durch den Wald. Es bildeten sich kleine Gruppen an Läufern. Zwar wurde unter den Athleten kaum miteinander geredet, doch irgendwie wollte auch keiner zu diesem Zeitpunkt alleine unterwegs sein. So zog sich der Weg einige Zeit unspektakulär dahin, bis der Aufstieg begann. Er machte seinem Ruf wahrlich alle Ehre: was für ein Brecher! Zwar war unsere Route durchaus als Weg erkennbar, bei dem Untergrund und der Steigung konnte ich mir aber nur schwer Wanderer vorstellen, die hier tagsüber zum Gipfel wanderten. Noch viel mehr machte mir mit zunehmender Zeit mein Rücken zu schaffen, der mir seit dem Grand Col Ferret immer mehr schmerzte. Ich versuchte meine Hände unter dem Rucksack zu verschränken, ihn dabei etwas anzuheben und so meine Rückenmuskulatur zu entlasten. Dies brachte aber meist nur kurz Linderung, zumal ich meine Arme auch zur Balance und zum Abstützen in unwegsamen Geröllpassagen oder bei Bachüberquerungen brauchte. Hie und da hielt ich kurz inne und versuchte in diesen kurzen Pausen am Wegesrand meinen Rucksack auf Steinen oder Stämmen abzustellen. Doch lange dauerte die Pause nie, denn es war windig und in dieser Höhe entsprechend kühl - ich wollte nicht auskühlen. So hielt ich mich auch oben am Checkpoint nicht lange auf und setzte zügig meinen Weg bergab fort, um wieder in wärmere, tiefere Regionen zu kommen. Ich lief inzwischen mit all der Müdigkeit und den Schmerzen immer mehr in einer Art Trance. Über den Col de Forclaz  kamen wir nach einem langen Abstieg wieder in bewohntes Gebiet. Dort gab es kurz eine leichte Unsicherheit in unserer Gruppe, da wir längere Zeit keine Wegmarkierung mehr wahrgenommen hatten. Doch wir waren noch richtig und nach kurzer Zeit zweigte dann ein steiler Trail ab, der uns Minuten später in Trient wieder ausspuckte. Mit der Verpflegung an diesem Posten konnte ich wenig anfangen –von dem isotonischen Getränk, dass ich bisher zum grossen Teil getrunken hatte, wurde mir inzwischen übel und anstatt so leckeren Kaffee wie noch drüben in Italien, gab es hier eine Instantmischung. So verweilte ich nicht lange, füllte die Vorräte lediglich mit dem Nötigsten auf und verliess das Zelt nach einer kurzen Pause wieder. Am Ausgang hatten sie einen Tisch aufgebaut, an dem sich Aussteiger aus dem Rennen abmelden konnten – für mich keine Option - ich wollte trotz all der Strapazen weiter. Vor der Zeitnahme am Ortsausgang kam ich an einem Massageraum vorbei. Ich nutze die Chance und fragte, ob man mir kurz mit meinem Rücken helfen könne. Ich hatte Glück und bekam umgehend eine angenehme Massage meines oberen Rücken- und Nackenbereichs. Nach 5 Minuten ging es wieder hinaus in die Kälte – 2 Berge noch – das schaffe ich jetzt! Die Euphorie dauerte nicht lange. Wenige Meter hinter dem Massageraum stürzte ich ein paar Stufen hinab und knallte mit einem lauten Schlag an etwas wie ein Garagentor. Sofort von oben erschreckte Blicke und Rückfragen der anwesenden Zuschauer. Ich rappelte mich auf, gab kurz zu verstehen, dass nichts Schlimmes passiert war und lief schnell weiter. Der folgende Anstieg hatte wieder auf 5 Kilometer über 800 Höhenmeter. Vom Untergrund her war der Weg nun etwas besser als am Bovine, doch die Steigung erschien mir nochmal heftiger. Zumindest meinem Rücken ging es nach der Massage wieder etwas besser. Ich hatte meine Trinkblase auch nicht mehr aufgefüllt, so Gewicht am Rücken zu sparen und versuchte jetzt alleine mit der Flasche auszukommen, was sich als vollkommen ausreichend herausstellen sollte. Auf dem Weg hinauf traf man immer wieder auf Athleten, die am Wegesrand ruhten – mitunter auch zu schlafen schienen. Ich versuchte den Anstieg zu schnell wie möglich hinter mich zu bekommen - mir war es zu kalt, um hier zu rasten und ich wusste nicht wie lange ich noch gegen meine tiefe Müdigkeit ankämpfen konnte. Oben angekommen liefen wir eine Zeit lang über Weiden. Im Dunkeln konnte man das Weidevieh hören. Schliesslich ging es dann die mühsam erkämpften 800 Höhenmeter wieder hinunter ins Tal nach Vallorcine.
Morgendunst in Vallorcine
Noch ein letzter Berg wartete auf mich. Noch einmal knapp 900 Höhenmeter – tatsächlich die letzten Höhenmeter. Noch einmal Trails rauf und wieder runter. Ich wollte keinen Meter mehr einen Hügel oder sogar einen Berg hinauf, ich konnte keine dieser Knochenbrechertrails mehr ertragen und wünschte mir nur noch vernünftige Wege. Doch ich war hierher gekommen, um genau das zu erleben und diese Herausforderung zu meistern. Also jetzt kein lamentieren mehr und nur schnell weiter. Langsam dämmerte der Morgen. Mit zunehmender Helligkeit kamen bei mir die Lebensgeister wieder zurück und ich wurde auch wieder sicherer – aus dem Zombie wurde langsam wieder ein Mensch. Der Aufstieg auf den Tete aux Vents unterschied sich grundlegend zu den letzten Anstiegen. Im Gegensatz zu den Geröll- und Waldwegen vorher mussten wir nun über grössere Felsblöcke steigen und unseren Weg finden. Ab und zu gab es sogar mal so etwas wie Stufen - richtiger Luxus!
Aufstieg zum Tete aux Vents
Manch einer sah zu anderen Zeiten oben auf dem Plateau Steinböcke herumspringen. Wir nahmen hier keine wahr - ich konzentrierte mich sowieso auf den Weg und wollte auf den mitunter recht glatten Steinen nicht abrutschen und stürzen. Immer wieder gab es kleine Kletterpassagen, die vollste Aufmerksamkeit forderten. Irgendwann sah ich ein grosses gelbes Zelt – war das schon der letzte Checkpunkt vor Chamonix? Ein kurzer Hoffnungsschimmer, doch der Weg über das Felsenmeer ging noch weiter und zog sich. Unter uns im Tal knatterte einmal mehr der Helikopter vorbei. Dann kamen wir endlich nach unzählichen Kilometern im Felsenmeer an den Checkpoint. Ungefähr die Grösse eines der Felsbrocken um mich herum fiel mir hier vom Herzen, denn ab hier sollte es nur noch runter gehen. Ich setzte mich kurz, füllte nochmal meine Flasche auf. Eine Athletin fragte nach dem Weg hinunter. Laut Auskunft einer Helferin sollte Weg hinab noch über eine Stunde dauern. Das würde bedeuten, dass ich über 43 Stunden benötigen würde. Ich überlegte nach was für einer Massgabe sie diese Zahl nannte: eine Stunde für einen Wanderer, für einen schnellen Läufer oder war das ihre Zeit hier hinauf? Plötzlich war mein Ehrgeiz wieder da: mal sehen was jetzt noch geht - das lässt sich vielleicht unterbieten! Ich stürmte hinaus aus dem Zelt in den Abstieg. Zuerst liefen wir auf einer Schotterstrasse. Ich hatte Schwierigkeiten meine Beine noch vernünftig zu bewegen und hier runterzulaufen. Doch den anderen ging es offensichtlich ähnlich. Mein Ziel war sich jetzt sukzessive nach vorne zu arbeiten und damit vielleicht nochmal Zeit gut zu machen. Irgendwann zweigte unsere Route dann in einen Wurzeltrail ab. Ein kurzer Schock, denn ich wollte keine Trails mehr. Ich lief vorsichtig weiter und versuchte nicht zu stürzen. Der Wurzeltrail wollte nicht enden, doch umso länger ich dort lief, umso flüssiger wurde es bei mir und ich überholte wieder andere Athleten, die mich weiter oben erst hinter sich gelassen hatten. Uns kamen hier auch immer mehr Wanderer entgegen. Alle gingen zeitig zur Seite, klatschten und feuerten uns an. Es gab fast keine Stelle, an der man nicht unter Beobachtung stand und angefeuert wurde. Ich wurde immer schneller und sammelte einen nach dem anderen ein. Selbst ein kleiner Bach, über den sich ein Athlet vor mir mühsam wand, stellte für mich keinen grossen Grund mehr dar langsamer zu werden. Unglaublich, was hier mit mir gerade los war! Manch einer versuchte zeitweise dranzubleiben, doch die Begleiter waren immer nur temporär und blieben bald hinter mir zurück. Dann die ersten Häuser. Ich bemerkte wie mir irgendwer folgte und so kurz vor dem Ziel wohl noch überholen wollte. Ich dreht mich nicht um, sondern nutze das als Ansporn weiter zu beschleunigen. Man hörte schon den Sprecher. Inzwischen war ich gefühlt schon mit 10-km-Volkslauf-Pace unterwegs. Ich musste schon nahe dem Stadtzentrum gewesen sein als ich auf einen Spanier auflief, mit dem ich vorher schon kurze Zeit mal gelaufen war. Ihn wollte ich nicht mehr überholen und mit ihm reinlaufen. Doch er nahm sich Zeit und genoss die Atmosphäre. So gratulierten wir uns und ich lief wieder alleine weiter. Umso näher ich dem Stadtzentrum kam umso voller wurde es hinter den Absperrungen. Innerlich liefen in mir Teile des Rennens nochmal im Zeitraffer ab – mir kam es vor, als ob das nicht ein Rennen sondern mehrere gewesen sein mussten, so lange schien mir schon manches her zu sein. Ich holte immer mehr Athleten ein und wir beglückwünschten uns jedes Mal gegenseitig – in den Augen war die Erleichterung und Freude über das Finish jedes Mal zu sehen. An den Banden durfte ich unzählige Hände abklatschen – nicht nur von Kindern, auch von vielen Erwachsenen. Phänomenal was hier nach so langer Renndauer noch für eine Stimmung herrschte und wie auch Läufer weiter hinten noch angefeuert wurden! Dann bog ich ein auf die Zielgerade – sah die Kirche vor mir, vor der wir vor über 43 Stunden gestartet waren. Unter dem Zielbogen fiel es mir schwer meine Emotionen noch zu verbergen. Vermutlich kannten sie das hier im Ziel, denn sehr sensibel liess das Empfangskomitee mir Zeit mich wieder zu sammeln. Dann wurde ich beglückwünscht und bekam ich DIE berühmte Weste ausgehändigt – ich hatte es geschafft, den berühmten Ultratrail du Mont Blanc ins Ziel gefinisht und empfing die rote Finisherweste – U N G L A U B L I C H !!!

Soweit meine Zusammenfassung zu diesem unvergesslichen Lauf. Ich habe während des langen Laufes wirklich viel erlebt – viel gesehen und erlebt: viel Schönes, aber auch viel Leid. Nicht alles lässt sich beschreiben, will ich auch gar nicht. Manches werde ich vergessen, anderes wird behalten und die Erfahrung ein Teil von mir werden. Zwei Fragen habe ich seither immer wieder gestellt bekommen: war es all das wert und würde ich den Lauf nach all den Erfahrungen nochmal machen? Der Lauf war es definitiv wert erlebt zu werden und ich will die Erfahrungen nicht missen. Werde ich ihn nochmal laufen? So toll der Lauf war, so extrem fand ich ihn auch. Auch wenn ich aufgrund des Umknickens nicht so laufen konnte wie ich es eigentlich konnte und wollte, habe ich mein Ziel erreicht und bin zufrieden. Aktuell kann ich mir deshalb nicht vorstellen den Lauf noch ein weiteres Mal zu laufen, aber wer weiss .. – aber eher vielleicht eine der anderen angebotenen (kürzeren) Strecken mal, denn da sind auch ein paar Sahnestückchen dabei. Hier noch ein paar Zahlen des Veranstalters für die Statistiker: 2469 Teilnehmer sind gestartet, davon waren 223 Frauen. 1686 haben das Ziel erreicht, d.h. knapp 32% mussten vorzeitig abbrechen.

3. September 2013

Ein paar bewegte Bilder ohne viel Worte

Es fällt mir schwer den Lauf am vergangenen Wochenende in Worte zu fassen. Im Moment kommt es mir so vor, als ob nichts das wirklich beschreiben kann, was wir Athleten da erlebt haben. Deshalb lasse ich für's Erste nur mal Bilder sprechen, die man offenbar aus den ersten Teilabschnitten und dem Zieleinlauf der Sieger schnell zusammengeschnitten hat.

(Video LIVE - THE NORTH FACE® ULTRA-TRAIL DU MONT-BLANC® von UltraTrailMontBlanc)

Danken will ich auf jeden Fall schon mal allen, die mir die Daumen gedrückt haben und mich auf die ein oder andere Weise unterstützt haben - es ist toll solche Freunde zu haben!!!

25. August 2013

Zwei Marathons in acht Tagen

Ungewöhnliche Ziele erfordern manchmal ungewöhnliche Trainingsmethoden. 

Auf dem Rodalbener Felsentrail
Nach der Zugspitz Ultratrail im Juni ist es bei mir läuferisch gefühlt gar nicht mehr rund gelaufen: ungewöhnlich anstrengend war es auf Berge zu laufen und in den Trails gab es den ein oder anderen üblen Sturz. Folglich nahm ich mich komplett aus dem Renngeschehen raus und bürdete mir kein weiteres anstrengendes Rennen mehr auf - Erholung und lockeres Training war angesagt. Anfang August setzte ich dann nochmal ein paar Kerneinheiten, wobei ich mehr auf Intensität und weniger auf lange extensive Einheiten Wert legte. So ganz ohne lange Läufe geht es dann als Ultraläufer aber auch nicht - zumindest für den Kopf war das wichtig. So begab es sich, dass ich recht spontan an den letzten beiden Sonntagen innerhalb von 8 Tagen 2 mal über Marathonsdistanz und mehr lief. Sonntag vor 8 Tagen lief ich beim Pfälzer Felsentrail mit: einem privat organisierten Freundschaftslauf ohne Wettkampfcharakter. So trafen sich 50 mehr oder minder miteinander bekannte Läufer Sonntag morgens in Rodalben, um eine grosse Runde auf dem Felsentrail - einem zertifizierten Wanderweg rund um den kleinen Ferienort im Pfälzer Wald. Bei all denen, die durchliefen, kamen an diesem Tag um die 45 Kilometer zusammen, doch manch einer lief auch kürzer - der Weg zurück zum Treffpunkt war von allen Teilen der Strecke ja nicht allzuweit entfernt; ich lief natürlich durch. Gelaufen wurde in der Gruppe. An markanten Punkten wurde von den schnelleren auf die langsameren Läufer gewartet, ab und zu gab es auch einen Fotostopp. So konnte jeder ohne Druck sein eigenes Tempo laufen. Für mich war es wichtig die Distanz ohne grosse Schwächephase zu schaffen und dabei möglichst keinen Sturz zu haben - beides gelang mir. Ein paar Stolperer waren zwar dabei, aber zum Sturz kam es zum Glück diesmal nicht. Die Wege waren alle gut zu laufen: meist "Flowtrails" würde ein Mountainbiker sagen. Mir hat der Lauf einen riesen Spass gemacht und er war nach der langen "Durchhängerphase" ein erster Lichtblick am Horizont, dass ich nicht alles falsch gemacht hatte.

Eine Woche später stand ich dann in Sonthofen am Start des Allgäu Panorama Marathon.
Allgäu-Panorama von der Hörner-Gruppe
Die Ultratrail-Distanz hatte ich mir verkniffen, da die nach meiner Erfahrung zu viel Energie gekostet hätte. Der Marathon verläuft im ersten Teil aber auf gleicher Strecke und ist in der zweiten Hälfte nicht nur kürzer sindern auch einfacher. Für mich sollte das nochmal ein Test im Wettkampftempo in alpinem Terrain ohne grosse Pausen werden. Im ersten Abschnitt hielt ich mich zurück, lief sicher und kontrolliert mein Tempo und sparte meine Kräfte für den Rückweg. Technisch schwierigere Passagen konnte ich sicher und schneller als andere bewältigen - das baute auf. Kurz nach der Halbmarathonmarke gab es einen kurzen Schreckmoment, als ich im Bein einen plötzlichen, schmerzhaften Krampf bekam; mit Krämpfen hatte ich bei Läufen noch nie Probleme. Nach kurzem Stopp ging es vorsichtig weiter. An der nächsten Verpflegung trank ich nochmal ausreichend, führte mir Mineralien zu, dann ging es zügig weiter. Umso näher ich dem Ziel kam, umso mutiger wurde ich. Ich sammelte immer mehr Läufer vor mir ein. Ich versuchte zwar hie und da einige zu motivieren mit mir mitzulaufen, doch spätestens nach der nächsten Verpflegung blieben sie hinter mir zurück und ich war wieder alleine unterwegs. Das Ziel erreichte ich dann als 60. gesamt von 355 Finishern, 10. meiner Altersklasse in einer Zeit von 4:17 Stunden. Das Ergebnis war mir vor dem Rennen eigentlich relativ egal, doch das unerwartet gute Abscheiden freut mich nun doch.

Beides scheint auch hervorragend in meine Vorbereitung gepasst zu haben. Ich verspüre auch eine Woche danach keine Müdigkeit und bin immer noch spritzig unterwegs. Das lässt hoffen für das grosse Ziel .. .

17. Juli 2013

Triathlon mal anders - als Guide und Coach

Es ist Sonntag der 7.7. 2013 kurz vor 7. Meine Besucher schlafen noch tief und fest, mich zieht’s aus den Federn – ein Wettkampf ruft! Doch diesmal bin ich recht entspannt. Heute wird keiner auf mein Ergebnis schauen, auch wird mich keiner in einer Ergebnisliste finden. Heute bin ich als Guide und Coach mit dem Heartracer-Team unterwegs und werde meinen sehbehinderten Schützling Yussuf bei seinem ersten Triathlon tatkräftig unterstützen. Vor 2 Monaten haben wir uns zum ersten Mal getroffen und seither immer mal wieder gemeinsam trainiert. Wenn ich es aus zeitlichen Gründen selbst mal nicht zum Training geschafft habe, konnte mein Kollege Jürgen aushelfen. Jürgen und Katja haben mich damals motiviert mitzumachen und mit Jürgen teile ich mir nun unseren Schützling: Jürgen übernimmt das Radfahren auf dem Tandem, ich bin dann der Guide beim Laufen; schwimmen muss unser Triathlon-Rookie im Feld nicht behinderter Kinder aber erst noch selbst. “Inklusion“ nennt man den pädagogischen Ansatz, mit dem die gehandicapten Kinder in die Welt der anderen integriert werden. Gegen 8 Uhr treffe ich am Schwimmbad in Mannheim Rheinau ein. Jürgen und unser Schützling Yussuf sind schon da. Letzterer lamentiert etwas über die Farben seinen neuen Triathloneinteilers – am Ende des Tages wird er ihn kaum mehr ausziehen wollen. Wir gehen mit ihm nochmal die Wechselzone ab und geben ihm letzte Tipps. Eigentlich ist Yussuf für sein grossen Sprüche bekannt, doch so langsam wird er kleinlaut und wirkt von dem was er sich da vorgenommen hat etwas eingeschüchtert. Nach der Wettkampfbesprechung trennen wir uns und ich gehe ans andere Ende des Beckens. Er sieht zumindest so viel, dass ich für ihn dort einen Orientierungspunkt darstelle. Von Gegenüber kann ich sehen wie er kurz ins Wasser springt, aber fast ebenso schnell wieder draussen ist – ist ihm wohl etwas zu kalt. Dann der Start. Schnell zeichnet sich ab, dass er es in diesem Klassefeld heute schwer haben wird: während die meisten Kinder kraulen, kann er nur langsam Brust schwimmen. Als der letzte andere Schwimmer das Becken verlässt, hat Yussuf noch 2 ganze Bahnen vor sich. Als er dann aus dem Wasser kommt, müssen wir ihn erst mal stützen, damit er nicht das Gleichgewicht verliert. Als wir zur Wechselzone laufen, kommt Stimmung ins Publikum, das gemerkt hat, dass hier ein sehbehinderter bei seinem ersten Triathlon unterwegs ist. Beim Wechsel haben wir die volle Aufmerksamkeit: das Anziehen der Socken wird vom Streckensprecher im Detail über die Lautsprecher kommentiert. Dann stürmen Jürgen und Yussuf mit ihrem Tandem raus auf die Radstrecke. Ihren Parforceritt kann ich vom Wendepunkt aus beobachten: super wie sie kämpfen, durch die enge Kurve flitzen und sich sukzessive an das Feld wieder heranarbeiten! Als sie nach der 3. Runde wieder in der Wechselzone ankommen, haben sie tatsächlich wieder an das Feld aufgeschlossen. Während Jürgen in der Wechselzone zurückbleibt, übernehme ich Yussuf nun und stürme mit ihm raus auf die Laufstrecke am Rheinauer See. Wir sind deutlich schneller unterwegs als in den letzten Trainings, aber Yussuf hat im Gegensatz zu den ersten Trainings in den letzten 2 Monaten gelernt sich seine Kräfte besser einzuteilen, so wird er es heute relativ konstant durchlaufen können. Er kann so gut sehen, dass wir ohne direkte Verbindung unterwegs sind. Lediglich in engen Kurven muss ich gelegentlich eingreifen und ihm die Richtung weisen, da er die Markierungen am Boden nicht genau erkennen kann. Die vorletzte Position können wir behaupten, nach weiter vorne ist leider nichts mehr möglich. Vor dem Ziel empfängt uns Jürgen und wir laufen gemeinsam ins Ziel. Kaum angekommen, darf Yussuf sein erstes Interview geben. Mit strahlender Miene und stolzer Brust erzählt er von seinem Abenteuer - seinem ersten Triathlon. Einige seiner jüngeren Schulkameraden hören aufmerksam zu, sie haben ihr Abenteuer auf etwas kürzeren Strecken noch vor sich. Auch Jürgen und ich freuen uns: unsere Mission war erfolgreich, wir haben unseren Schützling ins Ziel gebracht - selten hat ein vorletzter Platz so viel Spass gemacht! Gegen 11 Uhr bin ich wieder zuhause. Meine Besucher konnten in Ruhe ausschlafen und freuen sich, dass sie heute mehr von mir haben als an den sonst üblichen Wettkampftagen. 

An diesem Punkt nochmal ein grosser Dank an Katja Schumacher und das ganze Heartracer-Team für deren Engagement, sowie die Organisatoren und Helfer des Kindertriathlons in Mannheim Rheinau, die den Start der behinderten Kinder überhaupt erst möglich gemacht haben! Die Aktion wird sicher ihre Fortsetzung erfahren, spätestens beim Heidelberger „Ironkids“-Triathlon im Herbst. Es wäre toll, wenn sich noch der ein oder andere finden würde, der zukünftig auch mal als Guide eines der sehbehinderten Kinder begleiten würde.

1. Juli 2013

Von hungrigen Uhus und unsichtbaren Murmeltieren

Nur 5 Wochen nach dem Ironman Lanzarote stand am vergangenen Wochenende auf ganz anderem Terrain mein zweites Saisonhighlight auf dem Programm: der Zugspitz Ultratrail – 100 Kilometer um Deutschlands höchsten Berg mit 5420 Höhenmetern. In der kurzen Zeit seines Bestehens hat sich dieses Rennen zu einem der herausragenden Rennen im Europäischen Trailrunning-Kalender gemausert und wird schon als etwas leichtere Variante des Ultratrail du Mont Blanc angesehen. Für mich sollte es genau dafür die Generalprobe werden – mir war klar: nur wenn ich an der Zugspitze bestehen würde, würde ein Start am Mont Blanc überhaupt Sinn machen. Natürlich war die Regenerations- und Vorbereitungszeit nach dem Triathlon im Mai mit 5 Wochen sehr kurz, ich hielt das aber für machbar, zumal ich auch Trailläufe in mein Training vor dem Ironman integrierte. Die Woche vor dem Lauf brachte ich mit nicht zu langen Wanderungen in den Alpen zu - nicht ungewöhnlich in Trailläuferkreisen. Zumindest konnte ich mich so schon auf das entsprechende Terrain einstellen. Anreise nach Grainau war dann am Freitag. Die Akkreditierung war schnell erledigt. Als nächstes Stand ein kurzer Besuch der Messe mit anschliessendem Teamtreffen meines Trailrunning-Teams auf dem Programm. Dann ging es zur Wettkampfbesprechung mit der Pasta-Party. Das Zelt war inzwischen voll besetzt und es war schwer noch einen Platz zu finden. Der Ablauf des Briefings war ähnlich dem des letztjährigen Transalpine-Runs. Nachdem ich bisher die Ruhe selbst war, kam in mir nach dem Runterbeten des Reglements mit Pflichtausrüstung und Besprechung der Wettkampfstrecke mit allen Gefahrenstellen und Sicherheitshinweisen doch eine gewisse Nervosität auf. Ich versuchte ruhig zu bleiben, denn schliesslich war das alles für mich nichts Neues, doch irgendwann hielt ich es nicht mehr auf meinem Platz aus und verliess noch vor dem offiziellen Ende nach den wichtigsten Informationen das Briefing, um zuhause meine Sachen vorzubereiten und den Rucksack zu packen – über einige Sachen meiner morgen mitgeführten Ausrüstung musste ich mir nochmal Gedanken machen: nehme ich ein GPS-Gerät mit abgespeichertem Track zusätzlich zu den Karten mit? Bekomme ich alles in den bewährten kleineren Rucksack oder brauche ich den grösseren? Brauche ich eine zusätzliche Flasche? Laufe ich nur mit der dünnen Regenjacke oder packe ich auch die dickere Shell-Jacke ein? Fragen über Fragen. Irgendwann waren die Antworten gefunden und ich kann schon mal vorwegnehmen, dass ich mit der Ausrüstungswahl auch nach dem Rennen ganz zufrieden war. Die Nacht war trotzdem recht unruhig und ich wachte immer wieder auf. Offenbar war ich nicht der Einzige, der nicht so richtig Schlaf fand: nachts um 3 wurde ich von einem Duschgeräusch geweckt – wohl noch ein weiterer Läufer, der keinen Schlaf fand. Wenigstens war es dann nicht mehr so schwer gegen 5 Uhr aufzustehen und zu frühstücken. Um viertel vor 7 stand ich schon im Startbereich: da vor dem Rennen die Ausrüstung jedes einzelnen Teilnehmers kontrolliert wurde, wollte ich das frühzeitig erledigt haben und mich keinem zusätzlichen Stress mit eventuellem Umpacken oder fehlenden Gegenständen aussetzen. Nachdem ich dann endlich vor dem Start- und Zieltor stand wich die Aufregung langsam der Vorfreude auf das Rennen. Es folgte nochmal ein letztes kurzes Briefing mit letzten Informationen zur Wetterlage und Strecke, dann ging es pünktlich mit einem fliegenden Start los. 

Aus Grainau heraus was es noch eher unspektakulär. Lange Zeit liefen wir auf technisch nicht sonderlich anspruchsvollen Wald- und Wanderwegen. Mir lag die Strecke zwar und ich arbeitete mich immer weiter nach vorne, doch schliesslich war ich hier her gekommen, um auch das Laufen in hochalpinem Gelände zu trainieren. Doch um es zu Beginn nicht allzu einfach zu machen, ging es bald die ersten Rampen hinauf – von der Anlage her mussten das im Winter rote oder schwarze Skipisten sein – technisch einfach, aber ordentlich Steigungsprozente – an Laufen war hier kaum noch zu denken. Die 10-Kilometermarke passierte ich trotz der Höhenmeter nach knapp über eine Stunde – wow, wenn das so weitergeht ..! Wir überquerten dann irgendwo im Wald die Staatsgrenze nach Österreich. Ausser einem kleinen Schild und kurz darauf der obligatorischen Willkommens-SMS wies nichts darauf hin, dass wir uns nun in einem anderen Land befanden. Prompt kam nach einigen Kilometern von 2 anderen offenbar nicht ganz so aufmerksamen Läufern hinter mir die Frage, ob wir denn schon über die Grenze wären? So langsam arbeiteten wir uns nach oben. Die Wolken und der Nebel um uns wurden dichter, hie und da gab es auch mal einen kleinen Nieselregen, doch von richtigen Schauern oder Gewittern sollten wir in Folge verschont bleiben. Mit zunehmender Höhe wurden die Wege immer anspruchsvoller und technischer. Mitunter musste man aufpassen, dass man nicht in den Bau eines Murmeltiers trat. Ab und zu konnte man ein paar von ihnen pfeifen hören. Inzwischen tauchten auch die ersten Schneefelder auf. Ich konnte nur hoffen, dass die neuen Schuhe auf Schnee genügend Grip hatten. Die erste Prüfung folgte bald. Krönung des Laufens im Schnee war sicher ein Schneefeld, auf dem wir mehrere hundert Meter einen steileren Hang hinunter rutschen mussten. Über 2.000 Meter war die Sicht mitunter im niedrigen zweistelligen Bereich. Das beunruhigte mich nicht weiter, kannte ich es schon vom Ultratrail am Petit Ballon im Frühjahr. Es war nur schade, dass man von der tollen Landschaft drumherum hier nicht viel mitbekam.
Kurz vor dem Mannigjöchl, dem höchsten Punkt der Strecke, kamen mir 2 Gestalten aus dem Nebel entgegen. Die Stimme des hinteren war mir wohl bekannt – einer meiner Vereinskameraden aus dem Triathlonverein offenbar nichts ahnend von dem Lauf bei einer Wanderung. Doch ausser für ein kurzes „Hallo“ reichte die Zeit nicht, denn hinter mir kamen aus dem Nebel auf dem schmalen Weg schon die Nächsten hinauf. Vielleicht war der Nebel hier oben gar nicht so schlecht, wer weiss wie es hier oben wäre, wenn die Sonne gnadenlos herunter brennen würde? Auf den verblockten, schweren Wegen hielt ich mich zurück und achtete auf Sicherheit, Ziel war nur heil anzukommen – ein Test für den UTMB -, eine gute Platzierung konnte ich so kurz nach dem Ironman sowieso nicht erzielen. Doch trotz aller Vorsicht passierte hinter dem Feldernjöchl das offenbar Unvermeidliche: eine Unachtsamkeit und ich fand mich unvermittelt auf dem Boden wieder. Ein stechender Schmerz fuhr mir durch den Körper. Mir war sofort klar, dass der Sturz nicht ganz harmlos war. Ich konnte zwar wieder selbstständig aufstehen und weiterlaufen. Doch offensichtlich hatte ich einige grössere Schürfwunden davongetragen. Es dauerte nicht lange, dann war mein ganzer linker Unterarm bis zur Hand rot. Meine Hose war ebenfalls reif für den Mülleimer und vom linken Knie und Schienbein schimmerte es ebenfalls rot hinauf.
Es waren noch einige Kilometer bis zur Verpflegungsstelle an der Hämmermoosalm. An den Gesichtern der Zuschauer, die ich unterwegs traf konnte ich mitunter leichtes Entsetzen wie auch Mitleid erkennen – ich musste furchtbar aussehen. An der Verpflegung angekommen suchte ich zuerst den Sanitäter auf und liess mich in seinem Wagen verarzten. Nach ungefähr 10 Minuten waren die Wunden soweit gesäubert und versorgt. So füllte ich noch kurz meine Vorräte wieder auf und lief dann weiter. Der nächste Berg wartete: das Scharnitzjoch. Ich versuchte mich nicht über die verlorene Zeit und Platzierung zu sehr zu ärgern und den kleinen Unfall trotz brennender, aufgerissener Haut so gut es ging zu verdrängen – positives Denken war jetzt wichtig. Der folgende Anstieg zog sich. Ich versuchte mich damit zu motivieren, dass es der vorletzte 2000er war und zwischendurch einen flacheren Abschnitt gab, der sicher schon nicht so wild sein würde. Je höher wir kamen, umso schwerer, steiniger und ausgewaschener wurde der Weg. Mitunter fehlten ganze Wegabschnitte in der kargen Landschaft - sie waren durch den vielen Regen der vergangenen Wochen und Monate vermutlich weggespült worden. Erst nachdem ich das Scharnitzjoch passiert hatte, lief es bei mir dann wieder besser. Das Wetter hatte inzwischen aufgeklart und wir konnten endlich mehr von der Landschaft sehen. Ab und zu öffneten sich Wolkenlöcher und wir hatten einen schönen Blick ins Tal. Doch immer noch war Vorsicht gefragt, die Wege waren nach wie vor nicht einfach und die Sturzgefahr stets gegeben. Die Trails und die Treppen in diesem Bereich kamen mir entgegen, so machte ich sukzessive etwas verlorenen Boden gut und liess alle Begleiter hinter mir.
Als ich auf einen Weg zur Leutascher Geisterklamm einbog setzte kurze Zeit ohne ersichtlichen Grund mein GPS aus. Wie ich später erfuhr, passierte das anderen Läufern ebenso – ob es hier wirklich Geister und Kobolde gibt, die heute mit uns ihr Unwesen trieben? Am Ortseingang von Mittenwald war vom Streckenprofil her der vorläufige Tiefpunkt erreicht. Doch ganz so flach wie ich es von der Streckenstudie vor dem Rennen in Erinnerung hatte, war es die letzten Kilometer bis hier hin doch nicht. Und wie ich am ausgehängten Detailprofil sah, stand uns sogleich die nächste Rampe bevor. Sei’s drum: auf los geht’s los - weiter! Zumindest nicht mehr ganz so weit in die Höhe wie zuvor. Wir bewegten uns inzwischen wieder mehr im Wald. Vom Ort Mittenwald schallte Musik zu uns hinauf. Ansonsten gab es hier oben nichts als Bäume, Ablenkung war Fehlanzeige. Läufer, mit denen man sich hätte unterhalten können, waren auch keine in meiner Nähe. So stellte das erneute Wandern auf den steilen Wegen meine Moral ein weiteres Mal auf die Probe. Ich versuchte eine SMS in die Heimat zu schicken, dass ich jetzt dringend etwas Aufmunterung gebrauchen könnte, doch mit den schmutzigen Fingern und dem feuchten Display traf ich die Buchstaben nicht richtig. Anstatt dessen rutschte ich auf einem Stein weg und stürzte abermals. Es war nichts passiert, aber ich ärgerte mich über mich selbst: SMS-schreiben auf dem Trail – hallo?! Geht’s noch?! Jetzt aber mal zusammen gerissen und konzentriert weiter. Es folgte wieder eine kurze Bergabpassage die am Ferchensee endete. Anhand des ausgehängten Profils konnte ich sehen, dass unmittelbar der nächste kleinere Anstieg von abermals 250-300 Höhenmetern bevorstand. Zum Glück hatte ich dieses Mal einige Begleiter, so war der Aufstieg kurzweiliger und nicht ganz so mühselig. Die Zeit verging nun wieder im Flug und es ging mir besser. Erst als es auf einer schwierigen Treppe wieder bergab ging verlor sich unsere Gruppe wieder. Laufen war hier wieder schwierig: grosse Absätze, Steinblöcke und Wurzeln zwischendurch – nicht mein bevorzugter Untergrund. Ich verlor meinen wiedergewonnen Rhythmus und war schliesslich froh, als wir unten im Reintal angekommen waren. An der Verpflegung machte ich eine Bemerkung, dass ich froh war die Treppen hinter mir zu haben. Von der anderen Seite des Tisches folgte gleich die Ernüchterung: „Oh, leider werdet ihr jetzt noch einige weitere Treppen haben“. Ok, dann ist es halt so – positiv denken und weiter. Hier unten im Tal war es schon recht duster. Immer häufiger ging der Blick zur Uhr. Inzwischen war klar, dass ich es nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit ins Ziel schaffen würde – zwischendurch sah es mal recht vielversprechend aus, aber ich kannte ja die genaue Strecke nicht. 2 mal verloren in dem Halbdunkel des schmalen Tals Mitläufer die Orientierung, doch ich konnte sie beide Male zurückrufen, bevor sie sich verliefen. Eigentlich war die Strecke hervorragend ausgeschildert, doch wenn man so erschöpft ist, kann man auch eindeutige Zeichen schon mal übersehen. Als wir aus dem Reintal heraus waren, hatte es aufgeklart und wir konnten die Sonne langsam untergehen sehen. Die kahlen Bergriesen schimmerten in einem leichten Rot. Nun stand der letzte grosse Anstieg des Tages an: die Alpspitze mit ein Gipfel bei 2029 Metern. Schon bald konnte ich die Lampe auspacken. Der Weg zog sich in einem schmalen steilen Trail nach oben – fast 1100 Meter am Stück! Zuerst ging es noch ganz gut, aber als der Weg in der zunehmenden Dunkelheit nicht enden wollte und die Luft auch dünner wurde, schwanden bei mir langsam Motivation und Kräfte - ich musste zwischendurch kleinere Pausen einlegen. Aus dem dunklen Wald konnte man einen Uhu hören - für mich hörte sich sein Rufen gerade wie das eines lauernden Geiers auf seine dahinsichenden Opfer an. Zwischendurch traf ich am Wegesrand weitere Athleten, die ebenfalls entkräftet pausierten. Wenn man wenigstens ein Ziel hätte sehen können .. . Als ich den Trail dann wirklich fast geschafft hatte, kamen mir von oben Helfer entgegen und fragten mich, ob und wo ich dann unten hilfsbedürftige Athleten gesehen hatte. Ich gab ihnen kurze Infos, dann ging es weiter. An der Verpflegung bei 1600 Metern war ich selbst am Ende. Es waren noch ca. 400 Höhenmeter, aber ich wusste nicht, wie ich die noch bewältigen sollte. Ich versuchte mich zu verpflegen und darüber wieder Kraft zu bekommen, doch bevor ich mich gesammelt hatte, fing ich an zu frösteln und bekam schnell einen Schüttelfrost. In dem Treiben an der Verpflegungsstelle bemerkte das um mich herum niemand. So zog ich in aller Eile meine Softshell-Jacke aus dem Rucksack, deren Reissverschluss nach ganz oben zu und machte mich an den Aufstieg in der Hoffnung, dass mir beim folgenden Anstieg wieder warm würde. Das Frösteln liess in der Tat schnell nach. Bald konnte man oben auf dem Berg die Lichter eines Hauses sehen. Vermutlich die Bergstation, die wir zu passieren hatten. Wenigstens waren wir jetzt auf einem breiten Schotterweg. Stufen, querliegende Baumstämme und Steine hatten den Weg auf dem Trail zuvor ungleich schwerer gemacht, der breite Weg hier mit seiner gleichmässigen Beschaffenheit machte es nun deutlich einfacher. Immer häufiger wanderte mein Blick auf den Höhenmesser und ich zählte die noch verbleibenden Höhenmeter. Meter für Meter arbeitete ich mich nach oben – kamen die Lichter der Bergstation näher. Hie und da passierten andere Athleten mich mit einem etwas zügigeren Schritt bergauf, doch ich machte mir keinen Druck mehr und wartete auf den Abstieg. Oben am Haus konnte man im Schein der Lichter Liftmasten erkennen – wie einfach wäre es jetzt mit dem Lift einfach runter ins Tal zu fahren? Doch wir durften auf der anderen Bergseite eine Treppe nehmen. Wieder eine von der Sorte wie ich sie ungern laufe, zumal es etwas rutschig war und nebenan steil bergab ging. Ich zog es vor mich weiter im strammen Wanderschritt fortzubewegen, einen Sturz wollte ich hier oben im Dunkeln und in diesem Terrain nicht riskieren. Unten im Tal konnte man die Lichter von Garmisch-Partenkirchen und Grainau sehen – ein herrlicher Anblick, doch so richtig schätzen konnte ich es nicht mehr, ich wollte nur noch runter und der Weg sah von hier oben noch so weit aus. In der Tat zog sich der Weg zur nächsten Verpflegung länger als erwartet. Ich war inzwischen auch vollkommen allein mit meinen Gedanken. So langsam passten die Kilometerzahlen auch nicht mehr: laut meiner GPS-Uhr war ich schon nahe der 100-Kilometermarke doch weder war etwas von der Verpflegung zu sehen, noch schien der Ort näher zu kommen. Solche Momente nagen immer schwer an meiner Motivation: wie schön hatte das Rennen begonnen, doch jetzt wollte ich es nur noch hinter mir haben. Relativ unvermittelt tauchte hinter einem Felsen dann die Verpflegung auf. Während ich vom Gipfel kam, kamen weitere Athleten aus dem unerbittlichen Trail hinauf, der mich zuvor fertig gemacht hatte. Ich hatte Mitleid mit ihnen und war gleichzeitig froh das nun alles hinter mir zu haben. Ich hielt mich nur kurz auf, füllte noch ein letztes Mal mein Iso auf und setzte dann meinen Weg fort. An der Verpflegung warnten sie mich auf dem Trail bergab aufzupassen. Schnell merkte ich warum. Der Weg war zwar technisch nicht so schwer, es war jedoch sehr rutschig. So wie manch einer an mir vorbei lief, fragte ich mich, ob das nur ein Problem aufgrund meines Schuhprofils war. Doch andere hatten wie ich später erfuhr die gleichen Schwierigkeiten. Meine beiden Schulfreunde, die tagsüber hier gewandert waren, erzählten mir am nächsten Tag, dass sie beide auf diesem Abschnitt beide abgerutscht und gestürzt waren. Ich würde hier heute Nacht sturzfrei hinunter kommen – vielleicht halfen mir da auch meine Stöcke etwas, die mir zusätzlichen Halt gaben. Erst als ich unten im Tal angekommen war, es wieder flacher wurde und der Weg zuerst zu einem Forstweg und dann schnell zu einer Strasse wurde, konnte ich wieder vernünftig laufen. Es war inzwischen ungefähr 2 Uhr. Unten am Ortseingang erwarteten mich noch einige Zuschauer, die hier weiterhin eifrig jeden Athleten aufmunterten und anfeuerten. Nachdem ich einige hundert Meter auf der Strasse gelaufen war, hörte ich Applaus hinter mir und sah 2 weitere Lichter aus dem Wald kommen. Weit konnte es bis zum Ziel nicht mehr sein. Ich wollte mich zumindest hier jetzt nicht mehr überholen lassen. Natürlich hatten die beiden auch mich gesehen und versuchten aufzuschliessen. So entwickelte sich nochmal ein richtiges Rennen. Ich wurde schneller und schneller: unglaublich was nach 19 Stunden zu dieser fortgeschrittenen Stunde nach all den Torturen auf einmal wieder möglich war! Die Strassen waren recht leer. Nur ab und zu begegnete ich Leuten, die mich anfeuerten und offensichtlich aus dem Zielbereich kamen, was man an den Sachen erkannte, die sie mit sich herumtrugen. Dann sah ich endlich die Halle, hörte den Sprecher und bog in den Zielkanal ein. Nun nochmal alles zurecht gerückt, sicherheitshalber das Licht ausgeschaltet, damit ich die Fotografen nicht blendete und da war er schon – der Zielbogen durch den ich vor 19 Stunden hinaus auf meine lange Reise um die Zugspitze gegangen war. Als ich durch ihn schritt, war das ein Moment der unendlichen Erleichterung – ich hatte das Unmögliche geschafft – ich war 100 Kilometer und 5420 Höhenmeter um die Zugspitze gelaufen – das war irre – einfach der Hammer! 

So richtig freuen konnte ich mich in dieser Nacht und am folgenden Tag noch nicht über das Rennen. Zu tief sass die Ernüchterung über mein tiefes Loch und das Gefühl meine Grenzen dieses Mal wirklich überschritten zu haben. Erst nachdem ich alles nochmal in Ruhe Revue passieren lassen konnte, kam mir die kurze Pause von 5 Wochen seit dem Ironman im Mai wieder in den Sinn, in der ich mich nicht wirklich erholen konnte. Und so wurde mir langsam bewusst, was ich da innerhalb des letzten Monats mit diesen beiden grossen Wettkämpfen geleistet hatte. So wichen auch meine Zweifel, ob ich das weiteren Wettkampfprogramm schaffen würde, langsam einer Freude auf die kommenden Herausforderungen. Auf geht’s!

24. Mai 2013

Ironman auf der Insel der Feuerberge

Es ist Samstag der 18. Mai 2013. Ich stehe mit 1900 anderen Athleten und zahlreichen Zuschauern, Presse und Wettkampfhelfern am Playa Grande in Puerto del Carmen auf Lanzarote und warte auf das Startsignal des Ironman Lanzarote mit der vermeintlich härtesten Strecke der Welt. Ein Rennen, das in der Vita eines „Ironman“ eigentlich nicht fehlen sollte. Vor einigen Minuten hat es angefangen zu regnen. Eigentlich hatten hier einige zumindest einen Ironman mit Schönwettergarantie erwartet – dem war heute nicht so. Ich habe das Rennen schon einmal geschafft. Damals war ich zwar von dem Wettkampf – bei weitgehend schönem Kanarenwetter übrigens – und der Insel sehr begeistert, nur mit meiner eigenen Leistung war ich unglücklich – zu viel war damals schief gelaufen. So lag es nahe irgendwann mal wieder zurück zu kehren und es nochmal zu versuchen. Dieses Jahr passte endlich wieder alles. Die Vorzeichen waren dieses Mal allerdings etwas anders: damals hatte ich mich konsequent und längerfristig mit Trainingslager, Trainingsplan und Testwettkämpfen auf das Rennen vorbereitet, hatte grosse Ziele, dieses Jahr war die spezifische Vorbereitung auf dieses Rennen eher kurzfristiger und unkonventionell. Mein Ziel war trotzdem zumindest eine Verbesserung des alten Ergebnisses zu erzielen. In Gedanken ging ich nun hier am Start zum wiederholten Male das Rennen von damals und die Teilstrecken mit ihren Spezifika durch. Der Regen tangierte mich nicht und von dem Drumherum bekam ich wenig mit. 

Vorbereitungen an der Schwimmstrecke
Dann das Startsignal. Augenblicklich schob sich der lange schwarze Athletenwurm vom feinen Sandstrand in das Meer. Vor mir fing das Wasser an zu brodeln. Die Zuschauer, die um 5 Uhr aus den Pubs und Diskotheken an der Playa kamen, hatten uns sowieso schon mit grossen Augen beobachtet, als wir unsere Räder präparierten und uns im Anschluss in diese schwarze Gummiwulst zwängten. Doch spätestens bei dem Anblick eines Ironman-Massenstarts hier draussen im kühlen Atlantik war vermutlich jedes Verständnis dahin. Meine Strategie für die erste Disziplin war es mich zu Beginn aus dem übelsten Getümmel rauszuhalten, möglichst ruhig weiter nach vorne kommen und erst, wenn die Positionskämpfe weniger wurden, richtig auf's Tempo zu drücken. Eine Schwimmbestzeit hatte ich eh nicht vor. Im Vorfeld war ich mehrmals die Strecke abgeschwommen und nach meiner Messung war sie etwas zu lang. Ausserdem hatte ich meine Prioritäten im Training anders gesetzt. Einige Male hatte ich heute trotzdem Gruppen von langsameren Schwimmern vor mir, an denen ich mich erst mal vorbei arbeiten musste. Von den üblichen Schlägereien blieb ich zum Glück weitgehend verschont. Ich fühlte mich recht gut im Wasser, doch richtig Rhythmus wollte in dieser Waschmaschine zu Beginn nicht reinkommen. Zumindest der Wellengang des Atlantik hielt sich heute in Grenzen – das Wasser war relativ ruhig. Fische konnte ich unter uns nur wenige sehen, da war letztes Mal noch mehr los. Ab und zu roch man den Diesel der Motorboote um uns herum. Nach der halben Strecke ging es dann zu einem kurzen Ausstieg an den Strand: für das Publikum sicher immer ein Spektakel, kann man doch die Platzierungen der einzelnen Athleten und auch so manchen lustigen Ausrutscher sehen. Mich nerven diese Landgänge mehr. Denn kaum wieder im Wasser begannen die Positionskämpfe schon wieder von Neuem. Wenigstens der Regen war durchgezogen. Anstatt dessen konnten wir im Süden einen Regenbogen erkennen. Erst nach der zweiten Boje merkte ich wie es langsam ruhiger um mich herum wurde, konnte mich weniger nach anderen Schwimmern richten und musste mich häufiger an Landmarkierungen orientieren. Offenbar hatte ich inzwischen doch einige hinter mir gelassen und fand mit der Ruhe um mich herum nun auch endlich zu meinem Rhythmus. Endlich konnte ich auch ungestört längere Züge machen. Der Ausstieg und das Ende der ersten Disziplin kamen dann etwas schneller als erwartet. 

Ready for the race
Die zweite Disziplin versprach interessant zu werden. Die Radstrecke des Ironman Lanzarote ist sicher das Highlight dieses Wettkampfs: in einer grossen 180-Kilometer-Runde geht es vorbei an allen touristischen Hotspots der Kanareninsel. Auf dem Kurs kommt zu den über 2.500 Höhenmetern oft noch ein heftiger und böiger Wind hinzu, der es den Teilnehmern nicht gerade leichter macht. Zu Beginn war von Wind im Vergleich zu den Vortagen noch wenig zu spüren, dafür kam mir gleich hinter dem Ort eine graue Regenwand aus der Inselmitte entgegen. Ich musste nicht lange warten, da radelte ich schon im nächsten Schauer. Als es kurz etwas flacher wurde, wollte ich mich verpflegen. Leider hatte ich heute morgen trotz penibler Vorbereitung am Vorabend in der morgendlichen Hektik meine feste Radverpflegung in der falschen Tasche im Hotel gelassen. Routine hin und her, aber ich bin auch nur ein Mensch, da kann sowas schon mal passieren. Ich versuchte trotzdem ruhig zu bleiben und wollte das Beste daraus machen. Da es am Start nichts gab, musste ich mich auf meine Getränke verlassen und wollte zumindest eine meiner Mineralienkapseln nehmen, die ich für den Notfall eingepackt hatte. Doch leider waren die durch den Regen inzwischen so weit aufgeweicht und zusammengeklebt, dass sie zusammenklebten und nicht mehr geniessbar waren. Kurz darauf sollte ich sie dann sowieso verlieren. Es blieb mir also nichts anderes übrig als auf die nächste Verpflegung zu warten und mich auf das zu verlassen, was ich dort bekam. Nach rund 22 Kilometern hatten wir dann den ersten längeren Anstieg mit knapp 250 Höhenmetern gepackt. Es folgte eine lange und rauschende Abfahrt hinunter nach El Golfo auf der mir der führende Faris Al Sultan zum ersten Mal entgegen kam (später beim Marathon sollte ich ihn wiedersehen). Die Tropfen des feinen Regens stichelten bei diesem hohen Tempo wie kleine Nadeln auf meiner Haut. Die spektakuläre Küstenstrasse an der Saline unten bei El Golfo haben sicher die Meisten schon mal irgendwo gesehen, wird sie doch gerne von Autofirmen für Werbeaufnahmen ihrer neuesten Modelle genutzt. Die Vulkane sind hier von Eisen noch sehr rot, während am Strassenrand schwarzer Lavastein und weit unten der brausende blaue Ozean weitere Farbakzente setzen. Heute herrschte hier tristes Grau vor, dafür liess der Regen langsam nach. Ich hielt mich auf dem Rad noch zurück und versuchte nicht gleich so früh alle Körner rauszublasen, trotzdem lief es platzierungsmässig ganz gut. Ein gut gelaunter Brite wollte mit mir schon kurz hinter El Golfo über unsere Radzeit spekulieren, doch das war mir zu früh. Kurz darauf fing es an meinem Rad dann zu knacken an und intensivierte sich mit jedem Tritt. Nachdem ich es nicht genau orten konnte, versuchte ich es erst zu ignorieren, doch es machte mich zunehmend nervöser. Meine Vermutung war, dass sich die Schraube einer Schuhplatte löste, was einige Wochen zuvor schon mal zu einer unfreiwilligen Verkürzung einer Radtrainingsrunde geführt hatte. Ich hatte den Sitz der Schrauben zwar vor dem Start nochmal geprüft, aber kurz vor dem Nationalpark Timanfaya hielt ich es dann mit dem Knacken nicht mehr aus und hielt an, lehnte mein Rad an ein Schild, fummelte mein Werkzeug aus der Satteltasche, prüfte die Schrauben an dem besagten Schuh abermals und fuhr dann weiter. Leider war das Knacken noch immer da. Nun konnte ich aber wirklich nichts mehr selbst machen – also weiter das Knacken ignorieren und hoffen. Tatsächlich sollte es dann später doch wieder von selbst verschwinden. Der Nationalpark Timanfaya mit seinen Kamelkarawanen und den spektakulären, schlafenden Vulkanen ist vermutlich das beliebteste Postkartenmotiv der ganzen Insel. Wir hatten heute nur wenig Zeit diese atemberaubende Umgebung zu geniessen. Schnell ging es hinaus aus den sogenannten Feuerbergen hinüber nach Tinajo und von da an die eher wüstenartige Westküste mit den Kitesurfern von Famara und dem Athletenclub La Santa. Der Regen war inzwischen weggezogen, dafür hatte der Wind unangenehm aufgefrischt – kam überall her nur nicht von hinten. Als es wieder bergab in Richtung Meer ging rauschte ich in einem der kleinen Orte wohl etwas zu schnell über einen der Speedbumps. Plötzlich flog meine vordere Flasche aus der Lenkerhalterung aus ihrer Befestigung vor mir auf die Strasse. Zu allem Überdruss fuhr ich noch drüber, stürzte aber wenigstens zum Glück nicht. Eine kurze Überlegung, ob ich umkehren und sie zurückholen sollte. Doch erstens war ich auf dieser abschüssigen Strasse viel zu schnell, umkehren zu gefährlich, und zweitens gab es keine Garantie, dass die Flasche noch heil wäre – vermutlich hatte sie auch schon einer der Zuschauer von der Strasse weggenommen. Also fuhr ich weiter, doch eine gewisse Verzweiflung machte sich breit: keine Riegel dabei, die Mineralien verloren und jetzt auch noch die Lenkerflasche weg, die ich immer mit den gereichten Getränken auffüllte. Die letzte verbliebene Flasche im Rahmen hatte einen speziellen Halter, da bekam ich keine normale Flasche rein. Ausserdem war da meine Spezialmischung drin, die ich erst im zweiten Teil der Strecke verwenden wollte. Ein bisschen kam es mir vor als ob eine übersinnliche Macht mir das Finishen heute verdammt schwer machen wollte. Da fiel mir ein, dass mein Triathlontrikot heute eine etwas grössere Tasche hatte als das vieler anderer Hersteller. Der Test an der folgenden Verpflegung glückte: hier passte tatsächlich eine Flasche rein – ich hatte also einen neuen, nicht ganz so aerodynamischen, Flaschenhalter gefunden. Von Famara folgte nun der längste Anstieg auf den höchsten Punkt der ganzen Radstrecke in die Berge nach Los Nieves und auf den Mirador del Haria. Eigentlich bin ich ein guter Bergfahrer, doch dieses Mal hatte ich Schwierigkeiten. Zuerst hatte ich nur Mühe und schob das auf die Steigung. Doch langsam schwanden mir immer mehr die Kräfte; rückblickend hatte ich die klassischen Anzeichen einer Unterzuckerung. Umso höher es ging, umso schwerer wurde es. Oben bliess uns der Wind stramm ins Gesicht. Ich war ein wenig verzweifelt ob dieser Schwächephase, hatte ich mich auf der ersten Hälfte der Radstrecke doch bewusst zurückgehalten, um gerade hier gut hochzukommen. Doch nun: einer nach dem anderen überholte mich! Instinktiv machte ich vermutlich das einzig Richtige und trank oben angekommen von meiner hochkonzentrierten Gel-Wasser-Mischung. Es folgte nun erst mal die Serpentinenabfahrt ins „Tal der tausend Palmen“ hinunter nach Haria. In den vielen engen Haarnadelkurven war höchste Konzentration geboten. Die Strasse war bei schönem Wetter schon nicht ungefährlich, der Wind und der feuchte Asphalt setzen dem Schwierigkeitsgrad heute noch etwas rauf. Ich kam recht gut hinunter in den Ort und machte mich gleich an den nächsten 200m-Aufstieg hinauf zum Mirador del Rio – für mich persönlich das absolute, optische Highlight dieser grossen Runde.
Blick vom Mirador nach Süden
Auf einer kleinen Seitenstrasse arbeitet man sich hier bis zum 475 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Punkt an der Steilküste des Famaramassivs hinauf. Vor dem Gipfel öffnet sich den Athleten zur linken Seite ein phänomenaler Weitblick über die steilen Felsklippen und die etwa 2 km breite Meerenge auf das Chinijo-Archipel, die Insel La Graciosa und weitere Lanzarote im Norden vorgelagerte Inseln. In den 80er Jahren wurden hier oben Teile der Weihnachtsserie Tim Thaler gedreht.
Meerenge und La Graciosa
Inzwischen hatte ich mich soweit erholt, dass ich meine Position im Feld wieder halten konnte und keine weiteren Plätze mehr verlor. Vom Mirador folgte dann eine längere Abfahrt bis hinunter ans Meer. Zuerst recht ruppig, dann in abermals engen, unübersichtlichen Kurven. Ich kannte die Abfahrt und ihre Tücken und kam gut hinunter. Andere hatten weniger Glück. In einer der Kurven lag einer der Radfahrer hinter einer Leitplanke zwischen Lavasteinen und wurde verarztet, während ein paar andere Helfer schon sein Rad in den Wagen hievten. Überhaupt konnte man am heutigen Tage relativ viele gestürzte Athleten sehen. Ich hoffe, keinem von ihnen ist etwas Ernstes passiert. Zumindest schienen die Helfer der Organisation immer recht schnell vor Ort zu sein. In der letzten Abfahrt fuhr ein kleiner Lieferwagen aus einem Feldweg vor mir auf die Strasse und bremste mich den nächsten Kilometer etwas aus, da ich ihn wegen des Gegenverkehrs nicht überholen konnte. Als ich es nach dem nächsten Kreisel geschafft hatte, folgte eine längere, leicht ansteigende Gerade, auf der der Wind zur Abwechslung mal von hinten kam. Während andere sich von den Strapazen der Berge erholten, machte ich nun Druck und versuchte verlorenen Boden wieder etwas gut zu machen. Nach einigen Kilometern war die Strasse zwischen Teguise und Nazareth vom Belag her nochmal eine ziemliche Zumutung und bremste alle ziemlich aus. Doch selbst da konnte ich Plätze gut machen. Allmählich kamen wir in die Weinanbauregion La Geria. Es handelt sich um ein Naturschutzgebiet, in dem noch auf traditionelle Weise Wein auf meterdicker dunkler Vulkanasche angebaut wird. Umsäumt wird der Rebstock von einer kleinen Mauer, die ihn etwas vor dem Wind schützt und über die in den Nächten Tau gesammelt wird. Aufgrund der vielen Pflanzen wirkt dieser Teil der Insel vergleichsweise grün. Wir hatten bald die 160-Kilometer-Marke erreicht und es ging zügig Puerto del Carmen entgegen. Während den meisten anderen Athleten die Strapazen inzwischen deutlich anzusehen waren, fühlte ich mich wieder hellwach und radelte wie eine Maschine. Überholmanöver gestalteten sich meist so, dass ich nochmal das Tempo verschärfte, damit bloss niemand auf die Idee kam mir zu folgen. Kurz vor dem Ort gibt es nochmal eine kurvige, nicht ganz ungefährliche Abfahrt auf einem kleinen Strässchen. Als eher vorsichtiger Abfahrer drehte ich mich vor der Abfahrt nochmal kurz um, um zu sehen, ob jemand hinter mir war. Da war eine Gruppe von ca. 8 Fahrern doch nur 2 von ihnen schafften es zeitweise zu mir aufzuschliessen. Dann ging es schon in den Ort hinunter zur Promenade zur dritten Disziplin. Ich freute mich, dass ich dieses Monster an Radstrecke geschafft hatte und weil ich nun sicher war heute auch zu finishen – beim Laufen sollte nichts mehr passieren. Aber auch über diese fast unglaubliche Wiederauferstehung nach dem tiefen Loch in den Bergen freute ich mich ungeheuer – sowas hatte ich noch nicht erlebt. Eigentlich wäre ich jetzt gerne noch 20 Kilometer so weitergefahren.
Lanzarote ist nicht nur bekannt für seine Radstrecke, sondern auch für eine der längsten Wechselzonen im Ironman-Zirkus. Gefühlt hatte ich nach dem Radfahren schon 1-2 Kilometer gelaufen, als es endlich auf die eigentliche Laufstrecke ging.

Playa de Los Pocillos an Laufstrecke
Diese dritte Disziplin war für mich bei meinem letzten Start am enttäuschensten verlaufen, hatte ich doch ständig mit Seitenstechen, Übelkeit und der Hitze zu kämpfen. Von den letzten beiden blieb ich heuer verschont. Anstatt Hitze bliess uns aber immer noch ein strammer Wind aus Norden entgegen. Die Laufstrecke bestand aus 3 Runden – einer längeren und zwei gleich langen kürzeren – an der Promenade von Puerto del Carmen entlang. Wie überall auf der Insel so gab es auch hier leichte Wellen, richtig flach ist es eher selten. Ich schlug zu Beginn ein kontrolliert zügiges Tempo an. Wo es ging, versuchte ich mich vor dem steifen Gegenwind zu verstecken, doch fand ich keinen, der mein Tempo lief. Durch das Springen zwischen den einzelnen Gruppen war mein Lauf eher unruhig. Die Stimmung an der Strecke war gut - überall Klatschen, Anfeuerung und anerkennendes Nicken für uns Athleten. Meine Energie von der Radstrecke konnte ich derweil nicht wirklich in diese Disziplin rüberretten. Zwar war ich mit einem Schnitt von um die 5 Minuten/km nicht gerade langsam, allerdings hätte es etwas schneller doch schon sein sollen. Jedoch tat jede Tempoverschärfung im Wind weh und führte zu den schon von damals wohl bekannten Seitenstechen. Meine Erfahrung sagte mir, dass die Ursache von Seitenstechen oft eine Unterversorgung ist, deshalb nahm ich mir bei der nächsten Verpflegung gleich ein Gel. Die Seitenstechen verschwanden schnell wieder, allerdings sollte sich das gleiche Spiel noch einige Male wiederholen. Wenigstens konnte ich fast durchgehend laufen und konnte mir demütigende Gehpausen verkneifen. Wenn es mit dem Wind und einem kleinen Anstieg mal anstrengender wurde und andere gingen, wechselte ich in den Ultraschlappschritt und trabte hinauf. Unterwegs kam mir Kristin Möller entgegen. Sie lief mit leichten Schritten einem klaren Sieg im Damenrennen entgegen. Die Kilometermarkierungen an der Laufstrecke waren irgendwie seltsam gesetzt – die Matten ebenfalls. So ganz erschloss sich mir das System nicht, deshalb verliess ich mich mehr auf die Kilometeranzeige meiner Uhr. Als ich meine Halbmarathonzeit hochrechnete, lag ich gut unter 4 Stunden Laufzeit – klar auf Bestzeitenkurs für den Ironman Lanzarote. Meine Laufbestzeit vom Ironman Klagenfurt erschien mir in der heutigen Verfassung aber eher unwahrscheinlich. Mit dem weiter auffrischenden Nordwind in Runde 2 sollte sich das bestätigen und ich hatte Mühe das Tempo halbwegs zu halten. Als es dann in Runde 3 ging, begann ich wieder zu rechnen. Sollte ich noch weiter Zeit verlieren, würde die 3 vorne wackeln. Jetzt schon zu beschleunigen wäre gefährlich zumal ich immer noch mit leichten Seitenstechen zu kämpfen hatte. Bis zum Wendepunkt wollte ich noch warten – der Rückweg würde noch lange genug. Währenddessen kamen immer noch Radfahrer zum Ende ihrer zweiten Disziplin in die Stadt. Wie lange sie heute wohl noch unterwegs sein würden? Und viele sahen aus wie Topathleten, denen man ganz andere Zeiten zugetraut hätte .. . Doch ich kleiner, leidender Hobbysportler hatte es bald geschafft, während sie noch einen kompletten Marathon zu laufen hatten – ein wenig Freude kam auf – positive Gedanken sind zu dieser Zeit immer gut. Dann kam der Wendepunkt – das würde mit der Sub 4 Stunden eng werden! Jetzt gab es kein Halten mehr. Mein Schritt wurde länger – der Schnitt ging nun an die 4:30 Min/km – Tendenz immer schneller werdend. Noch einmal der Anstieg am Hotel Las Costas – danach noch einmal die Welle am Pavillion – dann der Buckel am Irish Pub – von hier ging es nur noch runter. Da war der grüne Zielbogen mit der grossen Leinwand – noch 200 Meter. Eine britische Athletin schaffte es vor mir gerade noch rechtzeitig vom Kanal zurück auf die Strecke rüber in den Zielkanal zu springen, der Sprecher bekam das mit und kommentierte ihre Aktion. Mit Riesenschritten lief ich derweil auf sie auf. 10 Meter vor dem Ziel waren wir gleichauf, überholen wollte ich sie nicht mehr. Auch das bliebt nicht unkommentiert: ich hörte irgendetwas wie „there's a gentleman at the finishline to defer to her“. Wir liefen gemeinsam durch den grünen Zielbogen und gaben uns die Hände. Hinter dem Bogen wartete schon Kenneth Gasque auf uns, der Racedirector und Gründer des Ironman Lanzarote, auch er schüttelte uns nochmal die Hände und gratulierte zu unserer Leistung. Erst bei dem Blick zurück auf den Zielbogen sah ich meine Gesamtzeit: trotz des Einbruchs auf dem Rad konnte ich mich im Vergleich zu meinem letzten Start hier nochmal über 20 Minuten verbessern – in Anbetracht der ungewöhnlichen Vorbereitung und des Chaos mit der Verpflegung konnte ich mit dem Ergebnis zufrieden sein.

Dämmerung an der Playa
Der Ironman Lanzarote war auf jeden Fall wieder eine Reise wert. Sicher ist nicht alles so perfekt organisiert wie vielleicht in Frankfurt oder Roth. Alle Helfer sind hier aber engagiert mit Herz dabei, die Anfeuerung ist gut und alle 3 Teilstrecken – besonders natürlich diese aussergewöhnliche Radstrecke – gehören zum Besten was man in Europa, vielleicht auf der Welt, finden kann. Für mich war es ein tolles erstes Highlight in der Saison – eine schöne Belohnung für das harte Training in diesem viel zu langen Winter.

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