16. Juli 2014

Rückkehr an den Main

Es war 2002 als ich meinen ersten „Ultralangdistanz-Triathlon“ gefinisht habe. Ursprünglich war dafür - mein grosser Traum – der Challenge in Roth geplant. Doch wie es der Zufall so wollte, wurde ich am Ort des Geschehens kurz vor dem Rennen krank und konnte letztendlich nicht starten. Nach 2 Wochen Trübsal meldete ich mich kurzfristig zu dem damals noch neuen Ironman Frankfurt an und durfte mich einen Monat später dann endlich „Ironman“ nennen. 2005 kehrte ich zurück nach Frankfurt – was mir aus diesem Jahr im Gedächtnis geblieben ist, sind eine verschmierte Brille beim Schwimmen, heftige Rückenschmerzen auf dem Rad und die Hitzeschlacht beim Marathon. Seither hat mich trotz weiterer Langdistanzen nichts mehr zurück nach Frankfurt gezogen. Nun, 14 Jahre später, wollte ich es mal wieder probieren. Durch die räumliche Nähe hat das Rennen ja auch gewisse Vorteile für mich. Leider war die Vorbereitung suboptimal. Aufgrund meiner Achillessehnenreizung hatte ich kaum Lauftrainingskilometer und fast ausschliesslich Schwimmen und Radfahren trainiert. Und auch diese beiden Disziplinen nur bedingt, sollte das Training den Heilungsprozess doch nicht zu sehr beeinflussen. So ging ich ohne grosse Erwartungen in dieses Rennen. Für die ersten beiden Disziplinen konnte ich mich halbwegs gut einschätzen, doch einen Marathon nahezu ohne Lauftraining zu laufen, war selbst für mich ziemlich verrückt. Allerdings konnte ich mich gut genug einschätzen, um zu wissen, dass dies für mich machbar wäre. Mit der Verletzung wurde es pünktlich zum Rennen dann auch langsam besser. An den Tagen vor dem Wettkampf lief alles bestens und ich freute mich auf das Rennen. Sonntagmorgen klingelte der Wecker irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr. Ich frühstückte, packte meine letzten Sachen und machte mich mit etwas Pufferzeit auf den Weg zum Schwimmstart. Leider war die Verkehrsführung geändert und die neue Anfahrt nicht komplett ausgeschildert. Zudem bekam ich einen Parkplatz am anderen Ende des Sees. So kam ich erst mit dem Schliessen der Wechselzone an meinem Wechselplatz an. Es reichte gerade noch, um die Flaschen aufzufüllen und meine Verpflegung zu deponieren, die Kontrolle des Luftdrucks und andere Kontrollaktivitäten an Rad und Ausrüstung mussten entfallen – hier vertraute ich einfach auf mein Gefühl, dass alles soweit eigentlich vorbereitet war und auch die Luft im Reifen für 180 km halbwegs passen müsste. Während ich den Neoprenanzug noch anzog, erfolgte der Start der ersten Gruppe mit allen Profis und ausgewählten Altersklassenathleten. Dann ging es schon für meine Gruppe ins Wasser. Normalerweise suche ich mir immer einen Platz am Rande des Feldes, wo ich erstmal in Ruhe und mit ausreichend Platz meinen Rhythmus finden kann. Doch heute schien mir das Feld im Wasser in beide Richtungen endlos zu sein, so verblieb ich in meiner mittigen Position – ein grosser Fehler wie sich in Kürze zeigen sollte. 

 Aus den Lautsprecherboxen am Ufer tönte wie man es auch aus dem Kraichgau kennt als Countdown-Lied „Hells Bells“. Dann erfolgte der Start. Beim Einschwimmen hatte ich mich noch recht gut gefühlt. Doch nach dem Startschuss wurde es schnell eng, ich wurde bedrängt von allen Seiten, bekam Tritte und harte Schläge. Freischwimmen von den anderen funktionierte nicht, ständig war jemand vor, neben oder hinter einem und im nächsten Moment gab’s den nächsten Schlag. Einen Schlag oder Tritt bekam ich ganz unglücklich auf den Kiefer – ich sollte ihn noch Tage später als blauen Fleck am Kinn sehen können. Das war mir trotz meiner Erfahrung alles zu viel und ich bekam leichte Panikzustände. Nun ist das Gefühl für mich nicht ganz neu und ich wusste wie ich reagieren musste: so gut es geht raus aus der Menge, Brustschwimmen mit Kopf aus dem Wasser und möglichst schnell wieder zur Ruhe kommen. Als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, fing ich wieder vorsichtig an zu kraulen. Meine anvisierte gute Schwimmzeit konnte ich natürlich vergessen, so war für diese erste Disziplin mein Wille gebrochen und ich spulte das Schwimmen nur in einem ruhigen Rhythmus herunter, ohne mich noch sonderlich anzustrengen. Mit einer 1:09 kam ich relativ enttäuscht aus dem Wasser – ein bisschen mehr hatte ich trotz der Schwierigkeiten dann schon erwartet. Nach Auswertung meiner GPS-Daten und auch Gesprächen mit anderen Athleten vermute ich rückblickend allerdings, dass die Strecke zu lang war, was meine Zeit dann wieder etwas relativiert. GPS-Messung ist im Wasser technisch schwierig und kleinere Umwege sind im Freiwasser normal – diese sollen statistisch ca. bei 10-20% Abweichung liegen. Doch i.d.R. bin ich ein recht guter Freiwasserschwimmer und die Tatsache, dass die Meisten sich verschlechtert haben (ich kenne keinen persönlich, der sich an diesem Tage verbessert hat), lässt vermuten, dass die Annahme der zu langen Strecke stimmt; meine GPS-Messung ergab auf jeden Fall im Wasser eine Distanz von 4.1 Kilometer, also 300m über dem Soll. 

Der Wechsel auf’s Rad verlief ohne Probleme. In der ersten Runde hielt ich mich zurück – zügig, aber nicht zu schnell versuchte ich mir ein paar Reserven für Runde 2 aufzuheben. Von Überholern liess ich mich nicht verrückt machen – letztes Jahr in Lanzarote hatte ich viele gegen Ende der zweiten Disziplin wieder überholt, die vorher in einem Affenzahn an mir vorbei gebraust waren. Dieses Jahr sollte es ähnlich laufen. Die Beine waren gut, so spulte ich mein Pensum runter. Die äusseren Bedingungen waren gut: es war trocken und erst zur zweiten Runde hin frischte der Wind auf und machte uns das Leben etwas schwerer. Eigentlich ist das Teilnehmerfeld in Frankfurt gerade für das Radfahren etwas zu gross – es ist mitunter schwierig immer die vorgeschriebenen Abstände einzuhalten. Für mich ist das regelkonforme Fahren aber eine Selbstverständlichkeit, da es zu einem fairen Wettkampf einfach dazu gehört und ich nicht auf Gedeih und Verderb auf einen der vorderen Plätze aus bin, der eine Qualifikation für Hawaii bedeuten könnte. Nicht immer fahren Athleten aber so fair, so bekam ich unterwegs auch mehrere berechtigte Zeitstrafen wegen Regelverstössen mit. Im Grossen und Ganzen hatte ich jedoch den Eindruck, dass die meisten sauber zu fahren versuchten und Verstösse eher die Ausnahme blieben. Lediglich nach Frankfurt rein wurde es dann so eng, dass eine saubere Fahrweise kaum noch möglich war. Allerdings konnte man hier auch keine Zeit mehr gut machen. Diese Radstrecke gehört mit ihrem unruhigen Profil und den vielen Ortsdurchfahrten sicher nicht zu meinen Lieblingsstrecken, trotzdem lief es bei mir – im Rahmen meiner Möglichkeiten - an diesem Tage recht gut. Für die Zuschauer spektakulär ist sicher der Kopfsteinpflasterabschnitt in Maintal-Hochstadt. Viele Athleten fuhren hier unsicher hoch, suchten nach einer optimalen Linie über das Pflaster, hie und da verlor der eine auch etwas. Ich für meinen Teil suchte erst gar keine Ideallinie und bretterte zügig über das Kopfsteinpflaster, da es eine ideale Route auf Kopfsteinpflaster meiner Ansicht nach sowieso nicht gibt – etwas, das ich bei der Flandernrundfahrt gelernt hatte. Bei mir sass auch alles fest, hatte ich mein Rad vorher doch entsprechend präpariert. Vielleicht kam mir auch der nicht ganz so hohe Luftdruck in den Reifen entgegen, der das Geholper womöglich etwas erträglicher machte. Highlight für die Athleten ist auf der Radstrecke dann der Anstieg in Bad Vilbel, wo mit Abstand am meisten Zuschauer stehen und einen mit ihrer Anfeuerung nach oben peitschen. Auch heute war hier wieder gut etwas los (wobei das nicht vergleichbar ist mit dem Spektakel, dass man im fränkischen Triathlon-Mekka in Roth erleben kann). So beendete ich die zweite Disziplin nach gut fünfeinhalb Stunden relativ zufrieden mit meiner Leistung auf diesem zweiten Abschnitt. Nun folgte die ungewisse dritte Disziplin: der Marathon. 

Schon beim Verlassen der Wechselzone war mir warm – fast zu warm. Die Temperaturen waren mir mit dem Fahrtwind auf dem Rad gar nicht aufgefallen, doch hier unten am Main war mir schlagartig heiss. Das Thermometer war offenbar inzwischen über die 30 Grad-Marke geklettert und von kühlendem Wind war nur wenig zu spüren. Ich sollte mir später unterwegs noch einige Male einen leichten Nieselregen zur Abkühlung herbeiwünschen, doch solange ich unterwegs war, änderte sich nichts wesentliiches an den äusseren Bedingungen. Mein Laufstil war nicht so flüssig wie vor ein paar Wochen im Kraichgau - es wurde mir schnell klar, dass dies heute keine Bestzeit werden würde. Zumindest hielt die Sehne. Dafür merkte ich das fehlende Lauftraining durch leichte Verkrampfungen und immer schwerer werdende Beine. Ich versuchte mich aufgrund der Hitze ausreichend zu verpflegen, nahm mir an den Stationen immer viel Wasser, isotonische Getränke und Cola, so blieb ich zumindest von üblen Krämpfen verschont. Nur auf Essen hatte ich überhaupt keine Lust und beschränkte mich auf ein paar Gels unterwegs. So entwickelte sich der Marathon für mich mehr zu einem „Walk & Run“ – gelaufen wurde zwischen den Verpflegungen, während ich es dort dann jeweils ruhiger angehen liess. Im Gegensatz zu meinen letzten beiden Teilnahmen sah ich unterwegs leider weniger bekannte Gesichter. So blieb der Motivationsschub und die Ablenkung von dieser Seite eher gering. Ich spielte anstattdessen mit den anderen Zuschauern an der Strecke oder redete mit Athleten, um mich etwas von den Strapazen abzulenken, denn mit jeder Runde wurden die Beine schwerer und schwerer. Doch hatte ich mir früh ausgerechnet, wieviel Zeit ich maximal brauchen durfte, um meine Zeit von 2002 zu schlagen. Dieses Ziel trieb mich an und es kam wie so oft: die letzten Kilometer konnte ich das nahe Ziel vor Augen nochmal alle Kräfte mobilisieren und flog allen Strapazen zuvor zum Trotz förmlich dem Römerberg mit dem Zielbogen entgegen. Dann ging es ab vom Main, den blauen Teppich hinauf durch das Zuschauerspalier - vor mir tauchten der Römer und die beiden grossen Tribünen auf – rechts und links klatschte ich Hände ab – die Fotografen nahmen mich ins Visier – dann ging es durch den Zielbogen, über mir standen mein Name und meine Zielzeit – die Zeit war klar besser als 2002, mir in diesem Moment aber eigentlich sowas von egal – ich hatte es geschafft und trotz der suboptimalen Vorbereitung den Ironman geschafft – den Marathon gelaufen!!! Klar kann ich es schneller – wäre ich gerne schneller gewesen – doch das war heute nicht so wichtig, man muss sich auch mal über nicht so gute Resultate freuen können, wenn es die Umstände eben nicht viel besser zuliessen. Natürlich habe ich nach dem Rennen darüber nachgedacht, ob ich in der ein oder anderen Situation nicht vielleicht die suboptimale Vorbereitung als Ausrede für ein schwächeres Abschneiden genommen habe und mich unter Wert verkauft habe. Doch dann kamen mir wieder die anderen Athleten in den Sinn, die ich unterwegs immer wieder an Rad- und Laufstrecke erschöpft habe gehen, sitzen oder liegen sehen. Vermutlich bin ich an diesem Tage nicht wie einige von ihnen an meine Grenzen gekommen, aber schmälert das meine Leistung? Viele hätten sich diesen Marathon oder den ganzen Wettkampf mit der Vorbereitung gar nicht erst zugetraut. Eine richtig gute Zeit wäre sowieso kaum möglich gewesen und ich habe dieses Jahr noch andere Ziele, die ich nicht gefährden wollte. So kann ich mit dem Ergebnis gut leben und bin auch ein kleines bisschen stolz auf mich diese 14te Langdistanz seit 2002 so durchgezogen zu haben.

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