11. Oktober 2010

München Marathon 2010: lebe den Moment

Manchmal kommt es anders als man denkt, mein Herbstmarathon war wieder ein Beispiel dafür. Wie bisher berichtet lief die Vorbereitung recht gut. Mein letztes Intervalltraining am vergangenen Mittwoch fiel mir dann aber doch etwas schwerer als erwartet. Donnerstag morgen realisierte ich langsam, dass etwas nicht stimmte und ich entschied mich kurzfristig den kleinen geplanten Lauf zu streichen. Nach vielen Jahren Ausdauersport habe ich ein gewisses Feingefühl meinen Körper entwickelt. Es dauerte nicht lange, da bemerkte ich in meinem Hals ein leichtes Kratzen. Aus Vermutung wurde schnell Gewissheit und schon bald begann die Nase zu laufen - ich hatte mir eine Erkältung eingefangen. Alles weitere Training war damit hinfällig geworden: ich gehöre zu den Leuten, die bei Erkältung allzu anstrengenden Sport vermeiden. Nicht nur, dass man bei weiterem anstrengenden Sport die Krankheiten verschleppen kann, auch nimmt man damit ein viel höheres Gesundheitsrisiko in Kauf. Das Thema persönliche Bestzeit war damit für München schnell abgehakt. Lange überlegte ich mir, ob ich den Lauf überhaupt unter den gegebenen Umständen machen sollte; anreisen würde ich auf jeden Fall, denn das Hotel war gebucht und ein schönes Wochenende in München könnte man auf jeden Fall haben. Freitag und Samstag wäre ich angeschlagen wie ich war wohl nicht an den Start gegangen. Sonntag morgen war die Atmung frei, deshalb entschied ich mich zu laufen. Mein Ziel war einfach nur "Ankommen", auf Bestzeit zu laufen wäre viel zu riskant gewesen. Nachdem ich schon die Marathons in Berlin, Köln, Hamburg und Frankfurt gefinisht hatte, fehlte mir nur noch München in der Liste der 5 grössten deutschen Marathons; wenn ich den finishen würde, dann hätte ich doch auch schon ein schönes Ziel erreicht. Ausserdem wollte ich einmal durch das Marathontor in das Olympiastadion. Laufen wollte ich also „nur“ in einem Wohlfühltempo, dass mich nicht zu sehr stresste. Mir war recht unklar, was das letztendlich für eine Geschwindigkeit sein und wie die Zielzeit aussehen würde, ich vermutete etwas zwischen 3:40 und 4 Stunden.

Am Wettkampftag war herrliches Herbstwetter: die Sonne schien bei morgentlichen Temperaturen im unteren zweistelligen Bereich, Laub segelte durch die Sonnenstrahlen goldgelb und braun auf die Strasse herab. Nur das Gras des Olympiaparks war immer noch saftig grün. Vom Olympiastadion hatten wir noch etwa 1,5 Kilometer zum Start zu gehen, die Athleten sortierten sich dort in die 2 Startgruppen ein. Am Start war mir doch noch etwas mulmig: war das wirklich eine gute Entscheidung heute zu laufen? Ich fühlte mich nicht mehr krank, also war die Entscheidung gefühlsmässig richtig. Dann der Start, die ersten Schritte fielen mir leichter als gedacht. Ich versuchte meinen Rhythmus zu finden, ohne zu überzocken. Vorne entschwand so langsam der 3-Stunden-Tempomacher mit seinem roten Ballon. Ursprünglich wollte ich mich an diesen halten, nun musste ich erst schauen, welches Tempo ich laufen konnte. Mein Kilometerschnitt pendelte sich schnell bei ca. 4:30 Minuten pro Kilometer ein. Anstatt dem roten Ballon tanzte nun vor mir der gelbe Ballon für 3:15 Stunden herum. Das war wesentlich schneller als ich erwartet hatte und würde eine Zeit weit unter 4 Stunden bedeuten. Ich wollte mich aber jetzt noch nicht auf diese Zeit festlegen - die Gesundheit ging vor und ich würde einfach nach Gefühl weiterlaufen, egal was für eine Zeit rauskommen würde – „Ankommen ist alles“ mahnte mich immer wieder meine innere Stimme. Das lockere, wenig ambitionierte Laufen machte Spass. Der längere Abschnitt durch den Englischen Garten wirkte auf mich fast mehr wie ein Lauftreff im Park und nicht wie ein Wettkampf. Bei der Halkbmarathonmarke fühlte ich mich noch deutlich besser als 1 Jahr zuvor in Frankfurt, von Müdigkeit noch keine Spur. Etwas später Kilometer nahm ich dann doch kurzzeitig etwas raus, weil ich das Gefühl hatte, es könnte für meinen Gesundheitszustand vielleicht doch etwas schnell sein. Kurz darauf fühlte ich mich aber schon wieder besser und ich lief wieder im ursprünglichen Tempo. Schon weit jenseits der 30-Kilometer-Marke fühlte ich mich immer noch relativ gut und zog an anderen Läufern vorbei. Immer mehr Leute blieben gezeichnet vom Wettkampf am Rand der Strecke stehen oder gingen. Mir kam es fast vor als würde ich fliegen; mein Laufstil erschien mir immer noch locker. Ungefähr bei Kilometer 35 fand ich eine Begleiterin mit der ich die nächsten Kilometer gemeinsam laufen sollte. So langsam wurde es warm und es kam dann auch die Zeit, zu der einem die Strecke zwischen den einzelnen Verpflegungsstellen etwas länger als am Anfang vorkam. Meine Laufpartnerin und ich wechselten wenig Worte, doch wenn einer mal an den Verpfelgungsstellen oder unterwegs zu sehr trödelte, kamen gleich aufmunternde Worte vom anderen - das war einer dieser Momente, die diesen Sport so spannend machen: jeder kämpft seinen eigenen Kampf, doch wenn es einem nicht so gut geht, dann sind andere da, die einem weiterhelfen. Einige Male zeigte meine Laufpartnerin schwache Momente, bei denen es schien als würde sie gleich stehenbleiben. Doch sie zeigte Willen und vielleicht auch angetrieben von mir, kämpfte sie sich immer wieder heran. Ungefähr bei Kilometer 39 machte ich den Fehler, dass ich einen der Streckenposten fragte, ob noch eine Verpflegungsstation käme - in der Mittagshitze hätten wir beide vor dem Zieleinlauf doch noch gerne mal etwas gehabt. Als Antwort kam ein überzeugendes "nein, leider nicht". Diese Antwort entsprach nicht dem was wir erwartet hatten und es zog uns beide mental etwas runter. Erst sie, dann als sie sich gerade wieder aufraffte mich. Mein Wille war gebrochen und und ich sagte mir, dass doch ich sowieso schon viel besser war als ich noch am Start gehofft hatte. So liess ich mich etwas hängen und als meine Laufpartnerin es gerade nicht bemerkte, verringerte ich mein Tempo. Als dann doch noch eine Verpflegung kam, war mein mentales Loch zwar überstanden, doch meine Laufpartnerin hätte ich nur noch mit grosser Anstrengung wieder einholen können, was ich auch jetzt auf den letzten Kilometern nicht mehr wagen wollte. So legte ich den letzten Abschnitt alleine zurück. Etwa 1500 Meter vor dem Ziel schallte aus den Lautsprechern die gerade aktuelle Single von Christina Stürmer. Eine gute Songwahl, der Text passte, es war als für sie das Lied gerade nur für mich singen:

".. Wir laufen durch die Straßen 
in einer bewegten Welt
und jeden Tag seh'n wir aufs neue
Es ist jede Sekunde die zählt
Atme ganz tief ein
Wir leben den Moment
mitten drin im Leben
und die Endorphine spiel'n verrückt 
Das mitten im Moment
dafür alles geben,
uns hält nichts mehr zurück...

Die Wege waren nun gesäumt von Publikum. Neben uns tauchte das Olympiastadion auf. Unser Weg führte uns noch etwas aussen herum. Vor dem Marathontor wartete nochmal eine grössere Menschenmenge, dann ging es hinein in das Stadion. Im Tor war eine Lichtanlage aufgebaut und Musik dröhnte aus den Lautsprechern. In der Luft lag Nebel, schemenhaft konnte ich Photographen auf der Seite erkennen. Dann ging es raus auf die Laufbahn in das Stadionrund. Ich suchte meine beiden treuen Begleiter, doch es waren zu viele Menschen – teilweise bis auf die oberen Ränge - es war schwer hier jemanden zu finden. Also genoss ich die einzigartrige Runde im Stadionrund: ich freute mich, dass ich es bis hierher trotz der gesundheitlichen Probleme geschafft hatte. Und dann auch noch mit einer Zeit von 3:18 Stunden, ohne mich gross zu verausgaben – manch einer wäre froh, wenn er diese Zeit überhaupt mal erreichen würde! Vielleicht war es ganz gut so wie es gekommen ist. Lieber ein schöner Lauf mit Spass, als bis zum Äussersten angestrengt und dann das Ziel doch um wenige Sekunden verfehlt zu haben. Auf jeden Fall war das ein Lauf, an den ich gerne zurückdenken werde.

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