28. Juni 2010

Radsport-Klassiker im Dreiländereck

Wegen des frühen Ironman kann ich in diesem Sommer bei Veranstaltungen mitmachen, die ich mir bisher verkniffen habe. Am vergangen Wochenende stand deshalb mit dem Dreiländergiro in Nauders mein zweiter Alpen-Radmarathon auf dem Programm. Rein von den Zahlen her erscheint er im Vergleich zu meinem Premierenradmarathon, dem Ötztaler in Sölden, vermeintlich einfach. Die Strecke hat eine offizielle Länge von 168 km und ist mit zahlreichen Höhenmetern (offiziell 3300) und Steigungen von bis 15% gespickt. Höhepunkt der Strecke ist sicher das Stilfser Joch mit seinen von Prad aus über 1800 zu bewältigenden Höhenmetern. Im Anschluss sind noch der Ofenpass und die Norbertshöhe bei Nauders zu erklimmen. Die Runde beginnt in Nauders und führt über den Reschenpass und um den Reschensee herum in das südtiroler Vinschgau. Über den Ofenpass und den schweizer Nationalpark kommt man in das Engadin. Nach einem längeren eher flacheren Streckenabschnitt kommt man aus dem Unterengadin über die Norbertshöhe dann wieder zurück nach Nauders. Als Richtzeit kalkuliert der Veranstalter eine Fahrtzeit von 8 Stunden. Landschaftlich gesehen also eine sehr reizvolle Strecke.

Nachdem am vorigen Wochenende das Wetter noch alles andere als gut war (Schnee und Temperaturen am Gefrierpunkt), besserten sich die Vorhersagen von Tag zu Tag. Während am Anreisetag noch ein Wolkenbruch durch das Tal zog, bot sich uns am Wettkampftag durchgehend strahlendes Sommerwetter und es wurde zum Mittag hin fast drückend warm. Um meinem Kumpel Christian etwas die Angst vor seinen ersten Alpenpässen und auch seinem ersten Radmarathon zu nehmen, scherzte ich noch auf der Hinreise etwas und bezeichnete das Rennen als bessere „Radtourenfahrt (RTF) mit Zeitmessung“. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht wie recht ich damit haben sollte. Die Akkreditierung erfolgte am Festzelt und verlief problemslos - von Veranstalterseite aus bot man hierfür löblicherweise ein relativ grosses Zeitfenster an. In den Startunterunterlagen vermissten wir ein Infoblatt mit den Informationen für die Teilnehmer wie es sie eigentlich zu jeder einfachen RTF in Deutschland gibt. Die Informationen bzgl. Befestigung der Startnummern wurden uns mündlich gegeben. Die Vorbesprechung sollte dann am Samstag um 17 Uhr im Festzelt beginnen, zu dieser Zeit spielte aber immer noch eine Musikgruppe zünftige Schenkelklopfer herunter. Das änderte sich auch erstmal nicht. Nachdem wir das schon einige Zeit angehört hatten und der Musik wenig abgewinnen konnten, suchten wir nach einer weiteren 1/4 Stunde das Weite. Die Besprechung folgte zwar - wie wir später von etwas weiter weg aus dem Zelt hörten - wohl doch noch, wir waren aber wenig gewillt nochmal zurück zu kommen.

Morgens rollten wir zeitig zum Start am Festplatz. Die Teilnehmeranzahl war noch übersichtlich, doch der Platz füllte sich schnell. Über die Lautsprecher gab es die üblichen Interviews, zwischendurch etwas Stimmungsmusik, Instruktionen oder Hinweise für die Teilnehmer gab es aber nicht mehr. Es sollte 3 Startgruppen geben, die Bereiche waren uns nicht genau erkenntlich und ob eine Kontrolle erfolgte, kann ich auch nicht sagen; uns kontrollierte niemand und um uns herum waren Teilnehmer aus unterschiedlichen Startgruppen wie man anhand der Markierungen auf den Startnummern erkennen konnte. Der Start erfolgte dann morgens um halb sieben. Zuerst ging es die moderate Steigung auf den Reschenpass hinauf: eine gute Streckenwahl, denn die Strasse war breit genug, so dass es aus dem Startgetümmel heraus erstmal zu keinen brenzligen Situationen kam. Die meisten Teilnehmer um mich herum fuhren auch mit Übersicht und nicht so kopflos wie ich es beispielsweise beim Jedermannrennen in Hamburg erlebt habe. Bis zum Reschensee hatte sich das Feld schon so weit in die Länge gezogen, dass man gut in mittleren Gruppen sein Tempo rollen konnte. Ich hatte meinen Platz in einer gut 50 Personen umfassenden Gruppe gefunden, mit der wir mit ca. 45 Sachen gen Glums brausten. Langsam schob sich die Sonne über die Berge und tauchte das Tal in einen hellen Schein. Hinter dem Glums teilte sich die Strecke in die kürzere Runde durch das Münstertal und die längere über das Stilfser Joch. Die Gabelung wurde zwar durch ein kleines Schild markiert, doch konnte man es leicht übersehen, weshalb einige Teilnehmer hier etwas irritiert umherirrten. Ein Helfer zur Einweisung wäre vielleicht  nicht schlecht gewesen, zumindest als ich vorbei kam war dort keiner zu sehen.
Von Prad auf das Stilfser Joch hoch zog sich das Feld immer mehr auseinander. Ich hatte Spass am Wiedersehen mit dem Pass, kannte ich ihn doch von meinem Alpencross 2008. Hier wie auch auf anderen Abschnitten der Strecke nervte lediglich der andere Strassenverkehr – besonders so mancher Motorradfahrer, der ohne Rücksicht in recht unübersichtlichen, gar gefährlichen Situationen, überholen musste. Oben angekommen hielt ich mich nicht lange auf, zog kurz meine Weste über – hier oben war es so früh am morgen noch empfindlich kühl -, bevor es auf der anderen Seite über den Umbrailpass gen Tal ging. Ein Teil der Strecke führte über eine Naturstrasse, die man jedoch auch mit dem Rennrad gut fahren konnte. Lediglich in den Kurven musste man etwas aufpassen, dass man nicht wegrutschte. Im Tal in St. Maria wartete die inzwischen dritte Verpflegungsstation auf uns. Ich passierte sie ohne anzuhalten, waren meine Flaschen doch noch gut gefüllt. Mit dem Ofenpass stand nun die zweite Prüfung bevor. Obwohl der an Höhenmetern und Steigungsprozenten bei weitem nicht an das Stilfser Joch heranreichte, empfand ich ihn bei der Auffahrt als härter. Vielen anderen Athleten schien es ähnlich zu gehen, einer meinte in einem kurzen Smalltalk mit mir „der Pass hat etwas gemeines, ich weiss nur nicht was“. Vielleicht war es die Hitze, die nun schon deutlich mehr zu spüren war; der Ofenpass machte seinem Namen wirklich alle Ehre. Die Abfahrt im Anschluss machte dann wieder richtig Spass. Ich merkte förmlich wie meine Sicherheit im Serpentinenfahren mit jeder Kehre wieder besser wurde. Hinter Zemez begann dann der flachere Streckenabschnitt, dafür kam der Wind jetzt direkt von vorne. Ich versuchte zuerst an die vor mir fahrenden Teilnehmer aufzuschliessen. Als ich merkte, dass das bei dem Wind nicht so einfach möglich war, entschloss ich mich für eine kräftesparendere Variante, rollte eher lockerer weiter und wartete auf den nächsten „Zug“. Ich musste nicht all zu lange warten musste. In der Gruppe um die 30 Fahrer konnte man ohne viel Mühe eine Geschwindigkeit jenseits 40 km/h fahren, ohne sich übermässig zu verausgaben. Nach einigen Kilometern wurde die Gruppe relativ unvermittelt durch zwei kurze quer über die Fahrbahn liegende Schotterstücke an einer Baustelle ausgebremst und auseinandergerissen. Hier hätte ich mir eine bessere Markierung oder Absicherung durch den Veranstalter gewünscht, doch ausser den üblichen Baustellenmarkierungen war nichts zu sehen - Streckenposten waren auch keine in Sicht. Genauso wie in Scuol. Streckenmarkierungen gab es nämlich kaum und als dort einige Strassen abführten, war es nicht immer eindeutig, wo die Strecke denn nun weiterging. Wie ich später erfuhr, fuhren hier auch prompt ein paar Teilnehmer falsch. Ich hatte dank meiner neuen Gruppe hier mehr Glück, da dort Teilnehmer dabei waren, die die Strecke schon kannten. Meine Gruppen blieben aber immer nur temporär zusammen, an den Anstiegen fielen sie immer wieder auseinander und sortieren sich dahinter neu. Das Tempo, das mitunter angeschlagen wurde, war recht hoch. Im Gruppenverband liess es sich trotz der aufkommenden Müdigkeit aber halbwegs gut fahren. Ein Mitstreiter kommentierte unterwegs unser hohes Tempo mal mit den Worten „was sind wir für Masochisten“. In Martina folgte an der Grenzstation dann die letzte Verpflegung. Noch eine letzte Stärkung vor der finalen Steigung. Wie auch bei den vorherigen Verpflegungsstellen waren die Helfer auch hier sehr engagiert und es war genügend für jeden da. Neben all den süssen Sachen, wäre vielleicht etwas Salziges mal ganz nett gewesen, aber wenigstens war auch für die Letzten immer noch genügend da. Eine Leistungsexplosion erfolgte bei mir an der Nobertshöhe nicht mehr. Einige Teilnehmer schoben hier sogar schon. Die Passhöhe überwunden war die Abfahrt hinunter nach Nauders wie eine Befreiung. Schon auf der Abfahrt hörte man den Sprecher im Ziel. Zwei letzte Kurven, eine Unterführung dann erreichte man schon den Zielbogen. Ohne Zeitvorgabe gestartet, hatte ich mit 7: 16 Stunden die Richtzeit gut unterboten. Wenn man die Wartezeit bis zum Überqueren der Startlinie abzieht, dann sind es wohl noch ein paar Minuten weniger. - die Nettozeitmessung  funktionierte an diesem Tag leider nicht (auch das bekommt man in Sölden ohne Probleme hin). Etwas geschafft musste ich mich noch etwas durchfragen, bis ich mein Finisher-Trikot endlich in Empfang nehmen konnte. Vielleicht wurden die entsprecchenden Informationen tags zuvor auf der verspäteten Vorbesprechung mitgeteilt, aber mangels Informationen auf der Homepage und fehlendem Infoblatt war uns das Prozedere hier nicht bekannt. Ausser ein paar Wasserbechern konnte ich auch keine weitere Zielverpflegung entdecken und fuhr deshalb schnell heim, um mich dort zu verpflegen. Christian schaffte übrigens an diesem Tag auch noch sein erstes Finish bei seinem ersten Alpenradmarathon.

Die Veranstaltung hat mit ihrer nunmehr 17. Austragung eine gewisse Geschichte und muss sich den Vergleich mit anderen Radmarathons im Alpenraum und auch anderorts gefallen lassen. Die Strecke ist sicher einzigartig und die Helfer unterwegs sind alle freundlich und engagiert. Dafür gibt es zahlreiche andere kleinere Dinge wie im Text schon zum Teil erwähnt, die bei einer Veranstaltung dieser Grösse und gerade mit dieser Geschichte eigentlich nicht mehr vorkommen dürften. Streckenmarkierungen bedeuten keinen grossen Aufwand und sind bei jeder Dorf-RTF in Deutschland Standard. Bei jeder RTF bekommt man als Teilnehmer auch ein Infoblatt mit Strecken- und anderen Informationen für unterwegs in die Hand gedrückt. Ein Vordruck auf der Startnummer für die persönlichen Daten im Falle eines Unfalls fehlte leider, auch das ist bei vergleichbaren Veranstaltungen schon Standard und bedeutet keinen grossen Mehraufwand. So bleiben rückblickend gemischte Gefühle. Wer auf die Rennatmosphäre verzichten kann, der kann diese tolle Strecke auch guten Gewissens ausserhalb der Veranstaltung abfahren und verpasst dabei nicht viel, verpflegen kann man sich auch an Brunnen, Tankstellen und in Cafès unterwegs. Andererseits könnte man sich auf organisatorischer Seite auch das ein oder andere Detail von anderen Veranstaltungen abschauen und dadurch die eigene Veranstaltung mit relativ wenig Aufwand noch deutlich attraktiver machen.

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